Öko-Landbau braucht überall Geschlechtergerechtigkeit

Öko-Landbau braucht überall Geschlechtergerechtigkeit

Frauen tragen weltweit entscheidend dazu bei, die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Aufgrund des strukturellen Machismo ist das in Südamerika besonders schwer. Oekolandbau.de sprach zum Weltfrauentag mit Karina Gonçalves David, einer brasilianischen Agroforst-Farmerin und Aktivistin. Ihre Botschaft: Öko-Landbau und Geschlechtergerechtigkeit gehören zusammen!

Männer besitzen das Land und Frauen machen die Farmarbeit und ernähren die Familie. Das erlebt die brasilianische Agroforst-Farmerin Karina Gonçalves David tagtäglich. Gemeinsam mit ihrem Mann hat die studierte Ökonomin eine Bio-Farm im Bundestaat Paraná gegründet. Dort bauen sie Gemüse und vor allem Shiitake-Pilze auf Baumstämmen an. Die Produkte verkaufen sie seit zehn Jahren auf Märkten und seit der Corona-Pandemie auch online. Außerdem veranstalten sie auf ihrem Land und online Workshops zum Shiitake-Anbau in Agroforstsystemen.

Karina engagiert sich aber weit über ihre Farm hinaus: lokal in dem Netzwerk PGS ECOVIDA, national im INSTITUTO BRASIL ORGÂNICO und international in der INOFO, dem interkontinentalen Netzwerk der Bio-Bauernverbände. Im Interview erzählt sie von ihrem Alltag als Farmerin, Verbandsvertreterin und Frau.


Film ab: Karina Gonçalves David auf ihrer Farm


Oekolandbau.de: Wie geht es den brasilianischen Bio-Bäuerinnen?

Karina Gonçalves David: Frauen spielen in der brasilianischen Landwirtschaft eine Schlüsselrolle. Sie haben doppelt so viele Pflichten wie die Männer. Wenn sie mit der Farmarbeit fertig sind, beginnt ihr zweiter Arbeitstag mit Hausarbeit. Allerdings werden Frauen in unserer männlich dominierten Welt übersehen. Sie können nicht mitreden und keine Entscheidungen treffen oder werden gar mit häuslicher Gewalt zum Schweigen gebracht. Frauen mangelt es aber auch an Landbesitz. Ein Beispiel: Wenn eine Bauernfamilie zwei Söhne und eine Tochter hat, erbt die Frau bestimmt das schlechteste Stück Land, das ohne Zugang zum Wasser oder ohne Sonnenlicht. Bei uns herrscht zudem noch finanzielle Gewalt. 

Oekolandbau.de: Was meinst du mit finanzieller Gewalt?

Karina Gonçalves David: Wenn du eine Farm aufmachen willst, musst du Land kaufen. Dazu fehlt Frauen das Kapital, weil sie schlechter als die Männer verdienen. Und wenn Frauen zur Bank gehen, werden sie nicht ernst genommen und bekommen keinen Kredit. Außerdem möchten viele Männer Frauen erst gar kein Land verkaufen. Auch haben Farmerinnen es viel schwerer, staatliche Unterstützung für ihre Farm zu erhalten oder an unterstützenden Programmen teilzunehmen. 

Bio-Produkte müssen frei von Gewalt sein.

Oekolandbau.de: Und wie sieht die Rolle der Frauen im Öko-Landbau aus? Ist es dort besser?

Karina Gonçalves David: Frauen sind weitgehend für die Umstellung auf ökologischen Landbau verantwortlich. Viele Familien, die jetzt biologisch wirtschaften, sind von Frauen dazu ermutigt worden, die sich um die Gesundheit ihrer Familien und der Umwelt sorgten. Im biologischen Landbau respektieren und wertschätzen wir verschiedene Lebensstile. Wir sind nicht nur auf die Produktion fokussiert, sondern auf die ganze Farm und das Miteinander. In unserem PGS-Netzwerk können Frauen mitreden und mitentscheiden. Aber wir decken auch verschiedene Formen von Gewalt und Unterdrückung auf und bieten Gender-Workshops an. Denn selbst in den Bereichen Agrarökologie und ökologischer Landbau gibt es Gewalt. Wir sprechen hier von strukturellem Machismo. Nach unserer Auffassung muss ein Bio-Produkt frei von jeglicher Form von Gewalt sein. Sonst ist es kein echtes Bio-Produkt. Wenn auf einer Bio-Farm in unserem Netzwerk Gewalt ausgeübt wird, bekommt sie kein Zertifikat.

Oekolandbau.de: Hast du selbst auch schon Ungerechtigkeit oder Gewalt erlebt?

Karina Gonçalves David: Ja, klar. Hier ein praktisches Beispiel aus meiner Realität: Ich war Leiterin einer Vereinigung von Bio-Bäuerinnen und -Bauern mit mehr als 500 Familien. Unser Vorstand bestand zu 100 Prozent aus Frauen. Wir waren mehreren Boykotten, Versuchen, unsere Arbeit zu entkräften, und viel psychologischer Gewalt ausgesetzt. Und jedes Mal, wenn wir einen Landbesitz besichtigt haben, waren es die Männer, die uns begrüßten und die Arbeit präsentierten. Dagegen blieben die Frauen unsichtbar. Auch bei den Fortbildungen auf unserer Farm spüre ich die Ungleichheit: Wenn ich etwas sage, zählt es viel weniger, als wenn mein Mann etwas sagt. 

Oekolandbau.de: Können wir Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland Euch irgendwie helfen?

Karina Gonçalves David: Auf nationalem Niveau können Verbraucherinnen und Verbraucher Bio-Farmen einfach unterstützen, wenn sie Bio-Produkte kaufen. Essen ist politisch! International können sie die INOFO unterstützen. Dieses Netzwerk von Bio-Bauernorganisationen finanziert auf der ganzen Welt Projekte rund um den Öko-Landbau. Wer an INOFO spendet, kann weltweit einfach und effektiv helfen.

PGS – Netzwerken für die Nachhaltigkeit

PGS steht für Participatory Guarantee System (Partizipatives Garantiesystem). Das sind kostengünstige lokale Systeme zur Qualitätssicherung von Produkten oder Wertschöpfungsketten.  PGS-Systeme zertifizieren Produzenten auf Basis von aktiver Partizipation der Interessensvertreter und beruhen auf Vertrauen, sozialen Netzwerken und Wissensaustausch. Im Grunde handelt es sich um ein Netzwerk von Landwirtinnen und Landwirten, die sich für verschiedene Ziele zusammenschließen. Dazu gehört die Erlangung eines Bio-Zertifikats und ein besserer Zugang zum Bio-Markt. 

PGS-Systeme gibt es weltweit. Auf der Webseite der International Federation of Organic Agriculture (IFOAM) sind ihre Richtlinien zu finden: PGS-Guidelines.


Letzte Aktualisierung 08.03.2024

Nach oben
Nach oben