Bedroht die neue Gentechnik den Öko-Landbau?

Bedroht die neue Gentechnik den Ökolandbau?

Pflanzen, die mit neuen Verfahren gentechnisch verändert wurden, sollen künftig leichter produziert und vermarktet werden können. Dazu hat die Europäische Union Mitte 2023 einen Gesetzesvorschlag auf den Tisch gebracht. Der soll die bisher strengen Regulierungen lockern. Das Europäische Parlament hat dem Gesetzesvorschlag im Februar 2024 weitgehend zugestimmt. Allerdings ist mit einem finalen Gesetz erst 2025 zu rechnen. Für den Ökolandbau hätten die geplanten Änderungen gefährliche Folgen.

Sicher ist: Bisher gibt es bei uns so gut wie keine gentechnisch veränderten Lebensmittel. Das liegt an den strengen Regeln der EU für die Zulassung, den Einsatz und die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Es gilt das Vorsorgeprinzip: genetisch veränderte Pflanzen dürfen nicht angebaut werden, "so lange schädliche Auswirkungen für die menschliche Gesundheit, Tiere oder die Umwelt nicht ausgeschlossen werden können."

Die Freisetzung – also der Anbau – steht ebenfalls unter Aufsicht: So müssen bei uns alle Flächen mit gentechnisch veränderten Pflanzen im öffentlich zugänglichen Standortregister beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz veröffentlicht werden.

Sind Bio-Lebensmittel frei von Gentechnik?

Wer GVO verkauft, muss das kennzeichnen. Findet sich kein Hinweis auf der Verpackung, darf bei der Herstellung auch keine Gentechnik verwendet worden sein. Das gilt vom Saatgut bis zum fertigen Lebensmittel. Allerdings gibt es eine Gesetzeslücke bei den tierischen Produkten: konventionell gehaltene Tiere können eventuell gentechnisch veränderte Futtermittel bekommen. Daher kennzeichnen einige Lebensmittelhersteller ihre Milch, Eier und ihr Fleisch freiwillig mit dem Hinweis "Ohne Gentechnik". So behalten Verbraucherinnen und Verbraucher die Wahlfreiheit. 

Bio-Produkte tragen dieses Label jedoch fast nie. Denn nach den EU-Bio-Richtlinien sind gentechnische Verfahren ohnehin verboten.

Was sind neue gentechnische Verfahren?

Seit den 1990er Jahren forcieren einige Akteurinnen und Akteure den Gentransfer, also das Einbringen von fremden Genen in andere Organismen. Das Verfahren nutzt die industrielle Landwirtschaft vor allem, um beispielsweise Mais oder Soja resistent gegen Unkrautbekämpfungsmittel (Herbizide) zu machen. Während alle Unkräuter auf dem Acker absterben, bleiben die veränderten Pflanzen stehen, wenn sie mit Herbiziden besprüht werden. 

In den letzten Jahren haben die Biotechnologieunternehmen präzisere Techniken entwickelt: zum Beispiel CRISPR/Cas, auch als Genschere bekannt oder Genom-Editierung genannt. Damit kann die DNA an gezielten Stellen geschnitten werden. Dadurch können Gene verändert, entfernt oder eingefügt werden. Im Vergleich zur "alten" Gentechnik lässt sich damit das Genom exakt dort beeinflussen, wo es verändert werden soll. Befürworterinnen und Befürworter sehen darin eine sichere und schnellere Züchtungsmöglichkeit und keinen Unterschied zu Verfahren der herkömmlichen Pflanzenzüchtung. Daher setzen sich GVO-Unternehmen dafür ein, dass die Zulassung und Kennzeichnung von Organismen, deren Gene nach den diesen neuen Verfahren verändert wurden, nicht nach den strengen GVO-Richtlinien der Europäischen Kommission erfolgen muss. So könnten sie aufwendige wissenschaftliche Risikoprüfungen und die Kennzeichnungspflicht umgehen.

Was sagen die Bio-Verbände?

Das sehen die Öko-Anbauverbände ganz anders. Auch bei den neuen Techniken werde die DNA von Pflanzen und Tieren direkt innerhalb des Zellkerns verändert. Deshalb handele es sich aus technischer und rechtlicher Sicht eindeutig um gentechnische Veränderungen, so die Internationale Vereinigung für ökologische Landbaubewegungen (IFOAM). Daher müssten die bisherigen strengen Gentechnikregelungen beibehalten werden und auch für die neue Techniken gelten. So sah es auch der europäische Gerichtshof. Dieser hatte bereits im Juli 2018 klargestellt, dass neue Gentechnikverfahren ebenfalls Gentechnik im Sinne des europäischen Gentechnikrechts sind. Für die "neuen" Gentechniken gibt es zudem keine Nachweismöglichkeiten – wurde ein Organismus zum Beispiel mit CRISP/Cas verändert, lässt sich das nicht mehr nachweisen. Nur dank des EU-weiten Rückverfolgbarkeits- und Kennzeichnungssystems kann die Bio-Landwirtschaft bislang eine GVO-freie Lieferkette garantieren.

Koexistenz von Öko-Landbau und Gentechnik?

Ein Nebeneinander (Koexistenz) von Öko-Landbau und GVO ist aus Sicht der Bio-Landwirtinnen und Bio-Landwirte unmöglich. In der gesamten Kette der Lebensmittelerzeugung können genmanipulierte Organismen die Bio-Produkte verunreinigen: Die Samen von gentechnisch veränderten Pflanzen gelangen mit dem Wind oder über Tiere leicht aufs Nachbarfeld. Eine gemeinschaftliche Maschinennutzung birgt ebenfalls Gefahren: "Wir nutzen die Sä- und Erntemaschinen gemeinsam mit unseren konventionell arbeitenden Nachbarbetrieben. Sobald einer von denen gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut, geht das nicht mehr", befürchtet Biokreis-Bäuerin Barbara Endraß.

Auch in den Getreidemühlen oder im Lager könnte GVO-Getreide die Bio-Ernte verderben. Verunreinigtes Bio-Getreide lasse sich nicht mehr als Bio verkaufen. Wer hafte dann dafür, fragt sich Endraß. Entsprechend warnt sie: "Wer die Deregulierung des bestehenden Gesetzes will, schlägt den ökologischen Landbau in Grund und Boden."

Welche Vorteile bietet Gentechnik?

Befürworterinnen und Befürworter der Gentechnik versprechen mit neuen Pflanzen den Klimawandel und den Welthunger zu bekämpfen. Doch die bisherigen Neuzüchtungen bedienen oder wecken eher Bedürfnisse von Verbraucherinnen und Verbrauchern in wohlhabenden Ländern. Zu den ersten GVO gehörte High-Oleic-Soja, also Soja mit verbesserter Fettsäurezusammensetzung. Aus Japan stammt die Sicilian Rouge-Tomate. Ihr fünffach erhöhter Gehalt an Gamma-Amino-Buttersäure soll den Blutdruck senken. Ebenfalls auf dem Markt ist ein Salat, der erst spät braune Blätter bekommt, sprich sich länger als frisch verkaufen lässt.

Interessant könnte ein Mais mit hoher Trockenheitstoleranz sein. Doch die Anpassung ist komplex und bisher nur unter Laborbedingungen getestet. Die hiesigen Verbraucherinnen und Verbraucher lehnen in allen Umfragen bisher Gentechnik auf dem Acker und ihrem Teller mehrheitlich ab.  

Was sagen die Agrarverbände?

Der Deutsche Bauernverband spricht sich für eine Lockerung des Gesetzes aus, da die derzeitigen restriktiven Regeln die Genom-Editierung praktisch verhinderten. Dagegen möchte die Arbeitsgemeinschaft Bäuerlicher Landwirtschaft, den ökologischen und konventionellen gentechnikfreien Anbau unbedingt erhalten. "Wenn Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung entfallen, könnte im Schadensfall Gentechnik aus der Lebensmittelkette nicht mehr entfernt werden. Inverkehrbringer müssten für Folgeschäden und Vermeidungsaufwand keine Kosten übernehmen. Das verstoße gegen das Verursacherprinzip", so ein Positionspapier.

Laut dem Bund für ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) schützen die Gentechnikgesetze die gesamte europäische Landwirtschaft. "Ansonsten würde billige, gentechnisch veränderte Ware aus Nord- und Südamerika die Märkte fluten", betont Friedhelm von Mering vom BÖLW. Eine Unternehmensintiative setzt sich für den Erhalt der Kennzeichnungspflicht und Wahlfreiheit ein. „Uns ist wichtig, dass Menschen weiterhin die freie Wahl überlassen bleibt, ob wir gentechnisch veränderte Nahrungsmittel produzieren und konsumieren wollen. Es geht um unsere Ernährung, um das, was wir unseren Körpern täglich zuführen. Auch wenn gentechnische Verfahren heute präziser sind als früher, verbleiben zu beachtende und zu bewältigende Risiken. Dafür brauchen wir eine klare Kennzeichnung als Entscheidungsgrundlage", so Kerstin Erbe vom Drogeriemarkt dm.


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Letzte Aktualisierung 13.06.2024

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