Vertragsanbau als Zukunftsmotor

Vertragsanbau als Zukunftsmotor

Vertragsanbau ist in der Bio-Verarbeitung ein gängiges Modell, um Rohstoffe von langjährigen und vertrauenswürdigen Partnern einzukaufen. Vertragsanbau ist Rohstoffsicherung, Verkaufsargument und Motor für die Weiterentwicklung von Produkten zugleich. Oekolandbau.de zeigt die Vor- und Nachteile sowie verschiedene Modelle der Vertragsgestaltung.

Immer mehr Akteurinnen und Akteure steigen in die Bio-Verarbeitung ein. Laut des Branchenreports der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft haben 2020 insgesamt 17.350 Unternehmen in Deutschland Bio-Lebensmittel hergestellt. Seit 2015 stiegen demnach fast ein Viertel mehr Betriebe in die Bio-Herstellung ein. Gleichzeitig schrumpfte in Deutschland die Anzahl der Mühlen, Molkereien oder Fleischverarbeiter weiter, so der Report. Die meisten herstellenden Bio-Betriebe finden sich in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Die "Neueinsterigerinnen und Neueinsteiger" bringen Know-How und Kapital mit. Aber sie sind häufig ein anderes Wirtschaften und vor allem einen anderen Einkauf gewohnt. Für die konventionelle Verarbeitung sind in der Regel viele Produkte irgendwo auf der Welt verfügbar. Verträge in konventionellen Lieferketten sind häufig mit Lieferzusagen und Konventionalstrafen bei Nichteinhalten gespickt. Ausschreibungen und Zuschläge für das günstigste Angebot sind an der Tagesordnung. Diese Mentalitäten schwappen immer öfter auch auf den Bio-Markt über.

Aber sie kollidieren häufig mit den Realitäten am Bio-Markt, denn die Beschaffung von Bio-Rohstoffen ist komplizierter und bei vielen Produkten muss ein Bio-Anbau erst aufgebaut werden. Und hier setzt der Vertragsanbau an, der maßgeblich die Versorgungssicherheit verbessert. Er ist weniger üblich bei Standard-Produkten, wie Brotweizen oder Rohmilch. Dafür aber bei allen spezielleren Produkten oder auch bestimmten Herkünften und Qualitäten. Zum Beispiel: Spreewälder Hirse, Sauerkonserven in der Marsch oder Sojaanbau für Tofu am Oberrhein.

Vertrag lenkt Produktion in die gewünschte Richtung

Die Verarbeitungsunternehmen entwickeln zusammen mit Landwirtinnen und Landwirten die Bio-Produkte. So sind die Landwirtschaftsbetriebe nicht mehr nur Lieferanten, sondern übernehmen Verantwortung für ihre Produkte. Durch Vertragsanbau entwickeln sich langjährige Beziehungen zwischen Verarbeitung und Erzeugung, die gegenseitiges Verständnis fördern und weit über eine reine Lieferbeziehung hinausgehen. Die direkte Zusammenarbeit zwischen Verarbeitung und Erzeugung ermöglicht die optimale Gestaltung des Rohstoffs. So können die Herstellerinnen und Hersteller Einfluss nehmen auf die gewünschten Rohstoffqualitäten und auch Sorten sowie Erntetermine vertraglich sicherstellen. Für Landwirtinnen und Landwirte bedeutet dies im Umkehrschluss Abnahmesicherheit und die Kenntnis, was später mal aus ihren Erzeugnissen hergestellt wird.

Unterschiedliche Vertragsgestaltung möglich

Die Verträge können ganz unterschiedlich ausgestaltet sein: Selten wird 100 Prozent der Menge unter Vertrag genommen. Häufig sind um die 80 Prozent der benötigten Menge vertraglich festgelegt, um Ernte- oder Nachfrageschwankungen abzufedern. Es ist auch unterschiedlich geregelt, ob die Landwirtschaftsbetriebe eine Andienungspflicht haben, also ihre gesamte Erntemenge eines Produktes abliefern, oder ob bestimmte Teilmengen vereinbart sind.

Die Laufzeiten der Verträge variieren zwischen einem Jahr bis zu zehn Jahren. Über die Preise wird in der Regel nach jeder Ernte neu verhandelt. Häufig orientieren sich die Preise an den Herstellungskosten. Manche Verträge sind aber auch an bestimmte Notierungen, also an Marktpreise, mit gewissen Auf- und Abschlägen gekoppelt. Die Preise schwanken dadurch weniger und sowohl Preisspitzen als auch Preistäler werden abgefedert. Dadurch haben beide Seiten längerfristige Kalkulationsgrundlagen. Verarbeitungsunternehmen können damit nur langsam auf eventuelle Marktschwankungen reagieren. Sie können nicht die günstigsten Einkaufspreise "mitnehmen", müssen aber auch keine Spitzenpreise zahlen, wenn der Markt besonders knapp versorgt ist. Gleichzeitig sichern sie sich mit ihren Verträgen bestimmte Qualitäten, Herkünfte oder Sorten eines Produktes.

Beispiele für Vertragsanbau von Gemüse bis Sojabohnen

Ein über viele Jahre entwickeltes System von Vertragsanbau ist die Zusammenarbeit der Öko-Bauernhöfe Sachsen (ÖBS) mit dem Tiefkühlgemüsehersteller Frosta. Die ÖBS fungiert als Liefergemeinschaft von circa 20 Landwirtschaftsbetrieben, die Gemüseerbsen, Bohnen, Möhren und andere Gemüsearten für Frostereien und die Herstellung von Babynahrung anbauen. Bis zum Jahreswechsel werden der Anbauumfang sowie die Anbaukonditionen für die Aussaat im folgenden Frühjahr zwischen dem Verarbeitungsunternehmen und der Erzeugergruppe fest vereinbart. Da das Erntefenster aufgrund der geforderten Qualität sehr klein ist, ist eine enge Abstimmung von Verarbeitung und Landwirtschaftsbetrieb sehr wichtig. Für Frosta bedeutet die langjährige Zusammenarbeit Versorgungssicherheit mit lokaler Ware, überwiegend von Verbandsbetrieben, die auch entsprechend gelabelt verkauft werden kann.

Ein anderes Beispiel ist der Tofuhersteller Taifun im Breisgau. Mehr als 20 Jahre arbeitet Taifun inzwischen mit verschiedenen Landwirtinnen und Landwirten in Deutschland, Frankreich und Österreich zusammen. Das Unternehmen ist in der Saatgutvermehrung genauso aktiv wie in der Erfassung, Trocknung und Reinigung der Sojabohnen. Mit Jahrespreisen, die deutlich über denen von Futtersoja liegen, bietet es den Landwirtschaftsbetrieben faire Konditionen. Sie haben damit nicht nur den Sojaanbau in nördliche Regionen gebracht, sie sichern sich damit auch Ware von heimischen Landwirtschaftsbetrieben. Taifun lädt einmal im Jahr alle Vertragslandwirtinnen und -landwirte ein, um Einblicke in die wichtigsten Märkte und neue Produkte zu geben. An diesem Tag findet auch die Übergabe der Sojaernte an Taifun statt. Ein Ritual, welches nach Auskunft von Taifun die besondere Wertschätzung für die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte zum Ausdruck bringt. Auf der Webseite des Deutschen Sojaförderrings e.V. findet sich eine Broschüre zum Vertragsanbau von Sojabohnen.

Auch der Sauerkonservenhersteller Alfred Paulsen mit seinen Marken "Marschland-Naturkost" für den Naturkosthandel und "bio fit" für den Lebensmitteleinzelhandel kann seine Produktvielfalt von Obst- und Gemüsekonserven nur deshalb anbieten, weil er eine Vielzahl von Vertragslandwirtinnen und -landwirten hinter sich hat. Da der Verarbeiter Mitglied von Demeter, Bioland und Naturland ist und auf den Produkten unterschiedliche Verbandslabel stehen, braucht das Unternehmen auch Landwirtschaftsbetriebe aus den verschiedenen Verbänden als Vertragspartner. Im Vertragsanbau werden Einlegegurken, Weißkohl für Sauerkraut, Rote Bete, Rotkohl, Sellerie und Kürbis in Niedersachsen und Schleswig-Holstein produziert. "Die Rohwarensituation ist so eng, dass wir unsere Ware direkt bei der Aussaat auf dem Feld sichern müssen. Nach Ausverkauf der Ware haben wir keine Chance", meint Eigentümer Alfred Paulsen.

Vertragsanbau als Motor für Innovation

Vertragsanbau gilt als Motor für Produktentwicklungen, insbesondere dann, wenn die Rohstoffe noch nicht in den gewünschten Mengen, Qualitäten oder Herkünften verfügbar sind. So wäre die Wiedereinführung der Hirse in Deutschland ohne Vertragslandwirtinnen und -landwirte bei der Spreewälder Hirsemühle nicht möglich gewesen. Auch die Herstellung von Leindotteröl oder Senföl bei der Ölmühle Moog hätte ohne Vertragsanbau nicht erfolgen können. Immer wenn es um Innovationen geht, wie zum Beispiel dem Anbau neuer Fruchtarten, gibt es gute Gründe, landwirtschaftliche Rohstoffe aus Vertragsanbau zu beziehen. Durch Vertragsanbau haben Verarbeitungsunternehmen verschiedene Möglichkeiten, sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu differenzieren. Denn die Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden jeden Tag neu, welche Produkte sie kaufen.


Letzte Aktualisierung 31.03.2022

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