Kooperative Ernährungssysteme

Kooperative Ernährungssysteme: Gemeinsam Wertschöpfungsketten entwickeln

Die aktuelle geopolitische Lage verdeutlicht einmal mehr die Verletzlichkeit der Weltwirtschaft. Regionale und kooperative Wertschöpfungsketten können einen großen Beitrag zu krisenfesten Ernährungssystemen leisten. Wie eine nachhaltige Transformation gelingen kann, veranschaulichten Fachleute aus der Bio-Branche während des Nationalen Dialogs zu Ernährungssystemen.

Die Bedeutung krisenfester Ernährungssysteme führe uns der Krieg in der Ukraine deutlich vor Augen, wie die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft betonte. Der Leitspruch "Think global und act local" sei aktueller denn je und umso wichtiger sei es, Ernährungssysteme regional zu verankern. Vorbilder hierfür gebe es bereits viele, darunter kooperative Geschäftsmodelle wie etwa Marktschwärmereien oder das Leasing von Schweinen und Rindern. Klar ist allerdings: Bei allem Potenzial für nachhaltige und belastbare Ernährungssysteme ist es herausfordernd, solche Wertschöpfungsketten in einer Region gemeinsam zu generieren.

Win-win-Situation für alle

Aus Sicht von Thomas Wolff ist es erforderlich, Regionalstrukturen langfristig zu verankern: "Der Markt allein regelt es nicht", so der Geschäftsleiter der Querbeet – Bio Frischvermarktung GmbH in Reichelsheim nahe Frankfurt. Das Thema Kooperationen treibt den Bioland-Gemüsegärtner schon lange um. In den 80er Jahren hat er mit anderen Akteurinnen und Akteuren einen Erzeugermarkt in Frankfurt ins Leben gerufen. "Meine Triebfeder war es, meinen Kollegen zu helfen, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Der Erzeugermarkt ist für Erzeuger und Verbraucher eine Win-win-Situation", so Wolff. Die Anbieterinnen und Anbieter könnten dank einer festen Stammkundschaft einen stabilen Absatz erzielen, die Kundinnen und Kunden bekämen einen unmittelbaren Bezug zu den Produkten, die sie essen. Grundsätzlich wertet der Bioland-Gemüsevermarkter den kooperativen Ansatz als großen Hebel für Ernährungssicherheit. Mit einem kooperativen Ernährungssystem verbindet er Fairness, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und gemeinsam Ziele zu verfolgen.

Um regionalen Produkten zum Durchbruch zu verhelfen, brauche es aber mehr Wertschätzung seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher. "Bei uns überwiegt immer noch die Mentalität 'Geiz ist geil'. Ich würde gerne dagegensetzen 'Qualität ist geil'. Jeder sollte sich überlegen, was ihm wirklich wichtig ist", so Thomas Wolff. Als besonders herausfordernd für die Erzeugerinnen und Erzeuger nennt er die Bodenverknappung. Boden sei zum Spekulationsobjekt geworden. Dies erschwere die Ausweitung regionaler Produkte. Hier sei die Politik gefordert, für die landwirtschaftlichen Betriebe den Zugang zu bezahlbaren Pachtflächen sicherzustellen. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger engagieren, können sie auch eine ökologisch-soziale Landvergabe erkämpfen.

Förderprogramme nicht passgenau

Damit regionale Strukturen entstehen können, hat die Politik etliche Fördermöglichkeiten auf den Weg gebracht. Das Problem sei aber, so Andrea Winter vom Bundesverband der Regionalbewegung e.V., dass fast alle Programme auf die Lebensmittelindustrie zugeschnitten sind und nicht auf "one-Man-Shows wie Bäcker, Metzger und Gemüseerzeuger". Dies bedauert auch Michael Wimmer: "Viele tolle Ideen gehen dadurch verloren und kommen nicht auf den Markt." Von der Politik wünscht sich der Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) vereinfachte Antragsverfahren, aber auch Beratung und Unterstützung über den gesamten Förderzeitraum. Als weitere Stellschraube sieht er eine zeitliche Verlängerung der Förderung und ergänzt "Drei Jahre sind einfach zu wenig, in fünf Jahren ist es eher möglich, dicke Bretter zu bohren und etwas zu erreichen. Wir brauchen ein Bundesprogramm, welches die hierfür nötigen Geldmittel zur Verfügung stellt."

Für Andrea Winter ist auch die Alltagsverfügbarkeit regionaler Produkte ein wichtiger Punkt: "Selbst die regionalaffinsten Verbraucher kommen an ihre Grenzen, da muss noch viel passieren." Es gebe noch große Lücken in regionalen Versorgungsnetzwerken, vor allem auf der Verarbeitungsstufe. Dies bestätigte auch Elke Röder von dem Berliner Öko-Großhandel Terra Naturkost Handels KG. Gerade im Umland von Berlin fehle es an regionalen Verarbeitungsstrukturen. Die Wertschöpfung der in Brandenburg erzeugten Produkte findet größtenteils anderswo statt. Herausfordernd ist es, die Produkte im gewünschten Verarbeitungsgrad anzubieten, beispielsweise geschälte Kartoffeln für die Außer-Haus-Verpflegung. Abhilfe erhoffen sich Elke Röder und Michael Wimmer vom Öko-Aktionsplan Brandenburg 2021 - 2024, an dem sowohl Terra Naturkost als auch die FÖL mitgewirkt haben. Die Brandenburger Landesinitiative will die Branchenakteurinnen und -akteure dabei unterstützen, Wertschöpfungsketten aufzubauen oder weiterzuentwickeln und deren Produkte erfolgreich am Markt zu etablieren.

Softskills sind gefragt

Aber nicht nur die Bereitstellung von Fördergeldern zählt. Es brauche in den Regionen selbst Menschen, welche die Akteurinnen und Akteure vor Ort an die Hand nehmen und unterstützen. Dafür seien Softskills notwendig, Expertise in Moderation und Coaching, so Michael Wimmer. "Die Kontakte muss man sich über Jahre erarbeiten." Aus seiner Sicht bringt dies der Spruch 'Seid lieber nett als Internet' sehr gut zum Ausdruck. Ergänzend betonte Elke Röder: "Es gehört sehr viel dazu, ein Produkt erfolgreich auf den Markt zu bringen: Zeit, Gespräche und vor allem auch das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher." Auch für Felix Schmidling, Bio-Wertschöpfungskettenmanager bei Franken-Gemüse Knoblauchsland e.G., ist der intensive Austausch ein wichtiger Erfolgsfaktor: "Wir fragen die Erzeuger und Abnehmer regelmäßig, was sie brauchen. Das schafft Verbindlichkeit und Vertrauen." Außerdem müsse man die Verknüpfung zur Erzeugerin oder zum Erzeuger für Bürgerinnen und Bürger erlebbar machen, etwa durch Exkursionen oder Kochevents. All dies würde die Stadt-Land-Beziehung stärken.

Bildung als Schlüsselfaktor

Für Dr. Christoph Schmitz, Gründer und Geschäftsführender Vorstand Acker e. V., sind Kinder die wichtigste Zielgruppe: "In ihrem persönlichen Umfeld können sie als Changemaker fungieren, denn wer überzeugt Eltern besser als Kinder?" Hierzu brauche es forschende, aktionsorientierte Lerninhalte, die zentrale Themen wie Biodiversität, nachhaltiger Konsum oder Klimawandel aufgreifen. Ansätze gibt es viele, so etwa das Aufstellen von Bienenstöcken oder Mathe und Kunstunterricht auf dem Acker. Sein Anspruch ist es, bis 2030 jedes Kind zu erreichen und das Thema im Bildungssystem zu verankern. Das würde die Wertschätzung für Lebensmittel erhöhen und letztlich auch die Bereitschaft, auskömmliche Preise zu zahlen. Neben der von Dr. Schmitz initiierten GemüseAckerdemie würden viele Initiativen bereits hier ansetzen. Sie alle wünschen sich einen von der Bildungspolitik getragenen Ansatz.

Kantine Zukunft

Vorreiter in punkto nachhaltige Ernährung ist das Land Berlin mit seiner 2019 gestarteten Ernährungsstrategie. Deren sieben Handlungsfelder reichen von Lebensmittelverschwendung bis hin zu Gemeinschaftsverpflegung und Ernährungsbildung. Das Handlungsfeld "Lebendiger Kiez" umfasse so genannte stadteilintegrierte "LebensMittelPunkte", so Ann Christin Weber von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Dahinter verbergen sich Ladenlokale oder andere Orte, wo eine gelebte Esskultur stattfinden kann, wo also Menschen gemeinsam kochen und essen können. Als eines der zentralen Projekte der Berliner Ernährungsstrategie hob die Ernährungsexpertin die Kantine Zukunft hervor. Angelehnt an das Kopenhagener House of Food, berate und schule die Kantine Zukunft Berliner Großküchen, um mehr frisches, biologisches und regionales Essen auf die Teller der Berlinerinnen und Berliner zu bekommen. Bei dieser komplexen Aufgabe unterstützen erfahrene Beraterinnen und Berater die teilnehmenden Küchen mit jeweils 100 Stunden dabei, ihre Arbeitsprozesse komplett neu auszurichten, so Ann Christin Weber. Die Kantine Zukunft sei die beste methodische Maßnahme, um Bio- und regionale Lebensmittel in die Küche zu bringen, ergänzte Michael Wimmer von der FÖL und empfahl, solche Beratungsangebote auch in anderen Bundesländern zu verorten.

Nur mit regionalen, fairen und langfristig geplanten Kooperationen seien Großveranstaltungen besonders nachhaltig zu gestalten, so Stephan Menzel, Vorstandsvorsitzender des Deutsches Evangelischen Kirchentag. Er erinnere sich sehr gut daran, als er mit Michael Wimmer in Vorbereitung des Kirchentags in Berlin Bauernhöfe im Umfeld von Berlin als potentielle Lieferantinnen und Lieferanten besucht hat. "Als Förderbank für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum fördert die Rentenbank Investitionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette", sagte Anna Katharina Blomenkamp von der Rentenbank. Was im einzelbetrieblichen Wirkungsfeld bereits gut gelingen kann, sei in Kooperationen komplex und bedürfe einer anspruchsvollen Koordination der verschiedenen Denkweisen. Unternehmen verschiedener Wertschöpfungsstufen müssten bereit sein, gemeinsam und verlässlich in eine Zielrichtung zu blicken, so Bloemenkamp.

Abschießend hob Dr. Hanns-Christoph Eiden, Präsident der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung und Leiter des Nationalen Dialogs zu Ernährungssystemen, hervor: "Die heutige Veranstaltung hat gezeigt, dass viel Engagement und Potenzial für mehr kooperative Zusammenarbeit in der Agrar- und Ernährungswirtschaft vorhanden ist." Es gebe viele Stellschrauben, an denen man drehen könne. Nun gelte es, Strukturen zu stärken, um das Vorhandene noch besser zu nutzen und breiter umsetzten zu können.

Hintergrund:

Expertinnen und Experten aus der Agrar- und Ernährungsbranche diskutierten am 7. April 2022 auf der digitalen Veranstaltung "Gemeinsam nachhaltig ernähren – Kooperative Ernährungssysteme als Treiber der Nachhaltigkeit". Die Veranstaltung ist Teil des Nationalen Dialogs im Kontext des UN-Weltgipfels zu Ernährungssystemen, den die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter dem Titel "Gemeinsam nachhaltig ernähren" mit mehreren Veranstaltungen und der interaktiven Dialogplattform www.ble-live.de durchführt.


Letzte Aktualisierung 13.04.2022

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