Seltene Rassen und Sorten

Seltene Rassen und Sorten durch wirtschaftliche Nutzung erhalten

Lebensmittel aus alten und gefährdeten Sorten und Rassen vermarkten und damit deren Erhalt sichern: Einige Unternehmen – darunter zahlreiche aus der Öko-Branche – sind sehr erfolgreich mit diesem Konzept.

Der Erhalt der biologischen Vielfalt ist eines der großen Ziele unserer Zeit. Tagtäglich gehen viele für unser Ökosystem wichtige Pflanzen und Tiere verloren. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Wildpflanzen und Wildtiere. Auch zahlreiche Nutztierrassen und Nutzpflanzensorten verschwinden zunehmend von unseren Äckern, Wiesen und aus unseren Ställen. In Deutschland waren im Jahr 2017 54 von 77 einheimischen Nutztierrassen gefährdet. Das heißt, von diesen Rassen existieren nur noch sehr wenige Tiere und Bestände, oder es gibt sehr wenig Züchterinnen und Züchter, die sich um ihren Erhalt kümmern. Hinzu kommen über 2.600 gefährdete Nutzpflanzenarten und -sorten.

Der Erhalt dieser alten und gefährdeten Nutztierassen und Nutzpflanzensorten ist alles andere als Luxus. Denn sie bieten einen überaus reichen und vielfältigen Fundus an genetischen Eigenschaften. Dieser ist von besonderem Nutzen, um veränderten Umweltbedingungen – verursacht zum Beispiel durch den Klimawandel – besser begegnen zu können.

Erhalten durch kommerzielle Nutzung

Mehrere Unternehmerinnen und Unternehmer konnten in den vergangenen Jahren erfolgreich unter Beweis stellen, dass man seltene und alte Nutztierrassen und Nutzpflanzensorten sehr gut erhalten kann, indem man sie einer wirtschaftlichen Nutzung zuführt. Sie haben erkannt, dass viele der alten Pflanzensorten und Tierrassen besondere, verkaufsfördernde Merkmale besitzen: Entweder weil sie besonders gut schmecken, außergewöhnlich aussehen oder ganz besondere Inhaltstoffe enthalten. Ebenso wichtig – wenn nicht sogar wichtiger – ist aber, dass viele von ihnen eine äußerst spannende Geschichte zu erzählen haben. Diese Kombination aus besonderen Merkmalen und regionaler Tradition ist sehr wertvoll für die Vermarktung, denn sie ermöglicht es, die aus diesen Pflanzensorten und Tierrassen gewonnenen Lebensmittelspezialitäten vom üblichen Standard abzuheben.

Die "Wiederbelebung" regionaler Geschichten durch Lebensmittelspezialitäten fördert aber auch die Identität in den ländlichen Gebieten und unterstützt die Image- und Markenbildung im Wettbewerb der Regionen untereinander. Somit werden letztlich Wertschöpfung und Beschäftigung in ländlichen Räumen mit Tradition und Geschichte und dem Erhalt biologischer Vielfalt verbunden.

Gute Chancen für die Öko-Branche

Besonders für die ökologische Landwirtschaft und Verarbeitung bietet die Nutzung alter Rassen und Sorten gute Chancen. Denn die ökologische Erzeugung ist seit je her nicht auf Maximalerträge aus, sondern stellt die Qualität mehr in den Vordergrund. Dies deckt sich sehr gut mit dem Anbau alter Kultursorten, die eher niedrig im Ertrag sind, dafür aber auch unter widrigen Umständen und mit wenigen Nährstoffen zurechtkommen. Auch in der Haltung alter Tierrassen kommt die ökologische Wirtschaftsweise mit viel Platz und Auslauf näher an die Haltungserfordernisse der alten Rassen heran.

Erfolgreiche Bespiele zeigen, dass es geht

Das nova-Institut und die Stiftung Rheinische Kulturlandschaft haben im Rahmen des Projekts "AgroBioNet" 21 Praxisbeispiele identifiziert, in denen es gelungen ist, den Erhalt alter heimischer Nutztierrassen oder Nutzpflanzensorten erfolgreich mit regionaler Wertschöpfung zu verbinden. Einige davon wollen wir Ihnen im Folgenden beispielhaft vorstellen.

Bunte Bentheimer Schweine – Ein Garant für Tierwohl und Genuss

Das Bunte Bentheimer Schwein ist eine alte, regionale Rasse, die traditionell ein hochwertiges und fettreiches Fleisch zu bieten hat. Ihre Blütezeit hatte diese Schweinerasse in den 1950er-Jahren. Als dann in den Folgejahren zunehmend mageres Fleisch nachgefragt wurde, verschwanden diese fruchtbaren und anspruchslosen Schweine jedoch mehr und mehr von den Höfen. In den 1990er-Jahren gab es deutschlandweit nur noch rund 100 Zuchttiere. Heute wird die alte Schweinerasse in der "Roten Liste einheimischer Nutztierrassen in Deutschland" geführt.

Auf Initiative des Tierparks Nordhorn wurde daher eine Erhaltungszucht der Rasse aufgebaut und im Jahr 2003 der Verein zur Erhaltung des Bunten Bentheimer Schweines ins Leben gerufen. Heute sind rund 100 Betriebe an dem Verein beteiligt mit insgesamt rund 600 Zuchtsauen und 100 Ebern.

Das Fleisch des Bunten Bentheimer Schweins hatte lange Zeit den Ruf, zu fett zu sein. Dadurch gestaltete sich die Vermarktung schwierig. Eine Anpassung der Haltungsbedingungen an die Bedürfnisse der alten Rasse konnte dieses Problem jedoch beheben. Denn, wenn die robusten Tiere genügend Auslauf haben und – traditionell gefüttert – langsam wachsen, setzen sie weniger Fett an. Die Schlachtung der Bunten Bentheimer erfolgt erst mit einem Jahr und nicht wie sonst üblich schon nach sechs Monaten. Durch die längere Wachstumsphase entwickelt das gereifte Fleisch seinen besonderen Geschmack. Die Tierhaltung also macht bei der Fleischqualität der Bunten Bentheimer den entscheidenden Unterschied aus.

Die anfänglichen Bedenken sowohl der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch der Landwirtinnen und Landwirte konnten durch umfangreiche Aufklärungsarbeit des Erhaltungsvereins ausgeräumt werden. Mittlerweile funktioniert die Vermarktung sehr gut und erfolgt überwiegend in den umliegenden Großstädten mit größerer Kaufkraft. Einige Betriebe verkaufen das Fleisch an Gastronomiebetriebe und Privatpersonen, andere vermarkten über Hofläden, Feinkostgeschäfte und auf Wochenmärkten. Sie erzielen dabei teilweise doppelt so hohe Erlöse wie für herkömmliches Schweinefleisch. Da die Grafschaft Bentheim noch über vergleichsweise viele Metzgereien verfügt, kann die Verarbeitung überwiegend in der Region stattfinden.

Mit zunehmender Bekanntheit der alten Schweinerasse, die die Bezeichnung der Region "Grafschaft Bentheim" in ihrem Namen trägt, haben auch die Kommunen deren Mehrwert erkannt. Heute tragen die robusten Schweine immer häufiger dazu bei, der Grafschaft ein Gesicht zu geben.

OSTMOST – Von der Streuobstwiese in die Clubszene

Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Biotopen Europas. Bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten können auf einer Streuobstwiese ein Zuhause finden. In den vergangenen 70 Jahren gingen viele Streuobstwiesen jedoch verloren, da sie oft nur schwer wirtschaftlich rentabel zu betreiben waren. Viele der verbliebenen Streuobstwiesen befinden sich heute in einem schlechten Zustand und werden nur noch spärlich gepflegt. Hier setzt die Streuobstwiesen Manufaktur GmbH mit dem Leitgedanken "Schutz durch Nutzung" an.

Unter der Marke OSTMOST vermarktet das Berliner Start-up Säfte, Schorlen und Cider aus alten Obstsorten von Streuobstwiesen in Clubs, Szenelokalen und Bio-Läden. Gemeinsam mit dem Verein "Äpfel und Konsorten" fördert das junge Unternehmen eine nachhaltige Streuobstwiesenbewirtschaftung und verknüpft den Erhalt alter Obstsorten mit wirtschaftlichen Impulsen. OSTMOST zahlt den Landwirtinnen und Landwirten höhere Preise für ihr Streuobst, um diese Anbauform wieder rentabel zu machen.

Der Einstieg in den hart umkämpften Berliner Markt war nicht einfach. Durch Eigeninitiative und Überzeugungsarbeit gelang es dem Team der Streuobstwiesen Manufaktur GmbH OSTMOST am Markt zu etablieren. Zugute kam ihnen dabei ihr Einsatz für die gute Sache: Der Ansatz, mit leckeren Saftschorlen Streuobstwiesen und deren alte Obstsorten zu erhalten, kam gut an. Mittlerweile werden die OSTMOST-Schorlen in etwa 400 Gastronomiebetrieben und 100 Bio-Supermärkten vermarktet – auch über die Grenzen Berlins hinaus. OSTMOST-Flaschen fallen durch ihr Design auf, das von zwei Hamburger Streetart-Künstlern entwickelt wurde. Mit neuartigen Geschmacksrichtungen und einer Bio-Zertifizierung spricht OSTMOST ganz gezielt junge Menschen in der Berliner Gastronomie- und Clubszene an.

Lippische Palme – Altes Kulturgut aus dem Glas

Braunkohl – in anderen Landesteilen auch als Grünkohl bekannt – ist Teil der kulturellen Identität des Lipperlandes. Dazu gehören die vielfältigen traditionellen Rezepte und Treffen zum Grünkohlessen. Viele der alten Braunkohlsorten wurden über Jahrhunderte nur in Selbstversorgergärten der Region angebaut und wären vermutlich verloren gegangen, wenn das LWL Freilichtmuseum Detmold nicht 2012 einen Aufruf gestartet hätte, um mehr über die alten Sorten des regionalen Kulturguts In Erfahrung zu bringen. Unter den zahlreichen Sorten wählte das Freilichtmuseum die "Lippische Palme" wegen ihrer besonderen geschmacklichen Qualität aus und meldete sie als Amateursorte beim Bundessortenamt an. Die "Lippische Palme" stammte aus dem alten Selbstversorgergarten des Großvaters von Bio-Bauer Jan Fleischfresser aus Kalletal. Jan Fleischfresser baute die "Lippische Palme" daraufhin versuchsweise auf seinen Feldern an und wagte einen ersten Schritt in die Vermarktung. Die Aktion hatte einen so großen Erfolg, dass der Bio-Bauer seine Anbaufläche auf zwei Hektar erweiterte.

Wegen ihres hohen Wuchses muss die "Lippische Palme" per Hand geerntet werden. Dabei hilft Jan Fleischfresser der gute Draht zu seinen Erntehelferinnen und Erntehelfern, die ihn schon seit Jahren bei seinem Bio-Rhabarber unterstützen. Eine glückliche Fügung war auch, dass die benachbarte Firma "Lipperland Konserven" mit langjähriger Erfahrung in der Gemüseverarbeitung bereit war, kleinere Mengen der alten Grünkohlsorte in Bio-Qualität zu verarbeiten. Durch die Haltbarkeit der Glaskonserve ist Fleischfresser sehr flexibel in der Vermarktung der rund 23.000 Gläser, die pro Hektar zusammenkommen. Im Verkauf setzt er vor allem auf städtische Bio-Märkte, wo für hochwertige Produkte und besondere Qualität kostendenkende Preise erzielt werden. Die Märkte versorgt der Betrieb mit dem eigenen Lieferwagen. Wegen des anhaltenden Erfolgs hat der Landwirt 2020 die Anbaufläche sogar auf fünf Hektar erweitert. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, einen Teil seiner Produkte künftig über das Zentrallager der norddeutsche Biomarkt-Kette "dennree" in Hamburg zu vertreiben und die eigene Logistik herunterzufahren.

Im Anbau hat sich die Lippische Palme als besonders widerstandsfähig gegen Trockenheit erwiesen, was auf ihre genetische Vielfalt zurückzuführen ist. Jan Fleischfresser vermehrt das Saatgut der Pflanzen, in enger Kooperation mit dem Freilichtmuseum, selbst und sorgt für eine sachte Auswahl. Dadurch bleibt die Heterogenität im Sinne einer Populationssorte erhalten.

Publikation zum Thema:

Wertschöpfung mit alten Sorten und alten Rassen - Erfolgsgeschichten und Erfolgsfaktoren

Alte heimische Pflanzensorten und Nutztierrassen sind ein schützenswertes Kulturgut mit wirtschaftlichem Potenzial. Wie ländliche Regionen und Unternehmen mit Lebensmitteln aus besonderen oder gefährdeten Sorten und Rassen wirtschaftlich erfolgreich sein können, untersuchten Expertenteams in dem von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) betreuten Projekt „AgroBioNet“.

  • Herausgeber: nova-Institut GmbH Stiftung,  Rheinische Kulturlandschaft
  • Texte und Redaktion: Arno Todt (V.i.S.d.P.) Amelie Hassels | Josephin Brückner | Meike Frizen
  • Erscheinungsjahr 2021
  • Bestellung / Download: BLE-Medienservice

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Letzte Aktualisierung 16.06.2021

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