Restlos Glücklich: Ernährungsbildung in Kita und Schule

Restlos Glücklich: Ernährungsbildung in Kita und Schule

Der gemeinnützige Verein Restlos Glücklich engagiert sich für mehr Wertschätzung von Lebensmitteln und für eine klimaverträgliche Ernährung. Im Interview erzählt die Geschäftsführerin Edith Timm, wie der Verein Kinder, Jugendliche und Erwachsene für diese Mission begeistern möchte und welche Bildungsprojekte angeboten werden.

Egal, ob die Möhre krumm ist oder die Banane braune Pünktchen hat, jedes Lebensmittel ist wertvoll! Wir machen nachhaltiges Essen erlebbar und schaffen so positive Erfahrungen mit unserer Nahrung.

Oekolandbau.de: Weshalb ist unser Essen politisch?

Edith Timm: Wie wir unsere Nahrung erzeugen, verarbeiten und transportieren, welche Lebensmittel wir konsumieren und wie wir sie verwenden – das alles hat einen direkten Einfluss auf unser Klima, unsere Erde, auf natürliche Ressourcen, einzigartige Lebensräume und die biologische Vielfalt.

Wir alle können unseren Beitrag leisten: Wir können uns ressourcenschonend und klimafreundlich ernähren. Wir können uns gesundheitsförderlich ernähren. Bildung ist dabei ein großer Hebel, darum wollen wir schon die Jüngsten für eine Ernährungsweise sensibilisieren, die für sie selbst, die Gesellschaft, die Umwelt und künftige Generationen gesund, fair und tragbar ist.

Und gleichzeitig ist uns bewusst, dass die Macht des Einzelnen begrenzt ist. Ich allein kann nicht verändern, dass ein Drittel aller produzierten Lebensmittel nie gegessen wird, sondern im Müll landet – während gleichzeitig Millionen Menschen Hunger leiden.

Wir finden, es ist höchste Zeit für eine Neugestaltung des Ernährungssystems – regional, national, europaweit, global. Und es ist die Aufgabe unserer Politikerinnen und Politiker, die dafür notwendigen strukturellen Veränderungen zu schaffen.

Im Bündnis Lebensmittelrettung engagieren wir uns politisch und stellen drei große Forderungen an die Ernährungspolitik, um Lebensmittelverschwendung zu verringern:

  • Wir fordern ein Gesetz, dass es einfach macht, überschüssige oder aussortierte Lebensmittel zu retten und weiterzugeben.
  • Wir fordern die Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums für Produkte mit sehr langer Haltbarkeit sowie eine klarere Kennzeichnung und verstärkte Aufklärung.
  • Wir setzen uns dafür ein, dass Lebensmittelwertschätzung und Ernährungsbildung fester Bestandteil des Lehrplanes werden.

Oekolandbau.de: Welche Rolle spielt dabei Bio?

Edith Timm: Wenn wir über klimafreundliche Ernährung sprechen, dann spielt Bio eine große Rolle. Durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und die Verwendung von organischem Dünger wird Energie gespart, weniger klimaschädliches Lachgas freigesetzt und das Grundwasser geschützt. Auch wird die Vielfalt wild lebender Pflanzen und Tiere gefördert. Dadurch kann mehr CO2 aus der Atmosphäre im Boden gespeichert werden, was sich wiederum positiv auf Klima und Umwelt auswirkt.

Oekolandbau.de: Welche Fragen haben Kinder im Vorschulalter zur Ernährung? Was wissen sie bereits?

Edith Timm: Es gibt Kinder, die wissen schon in der Vorschule ganz viel über Ernährung und über Nachhaltigkeit und haben mit ihren Eltern vielleicht sogar einmal den Komposthaufen im Garten unter die Lupe genommen. Bei anderen Kindern spielt das Thema zu Hause noch keine so große Rolle und sie sind überrascht, wenn sie in unserem Memo-Spiel zum ersten Mal eine zweibeinige Karotte sehen – weil ihnen so eine bisher noch nie über den Weg gelaufen ist.

Was aber alle Kinder mitbringen, unabhängig von der familiären Situation, ist Neugier. Und davon eine riesige Menge! Wir begegnen allen Kindern auf Augenhöhe und möchten ganz spielerisch ihr Interesse für eine nachhaltige und gesundheitsförderliche Ernährung wecken und ihre Selbstwirksamkeit stärken. Und zwar ganz ohne schlechtes Gewissen oder erhobenen Zeigefinger – sondern mit Freude und Leichtigkeit.

Oekolandbau.de: Wie kann das Interesse der Kinder für diese Themen geweckt werden?

Edith Timm: Mit unserem Projekt "Bis auf den letzten Krümel" sensibilisieren wir Berliner Vorschulkinder im Alter von fünf bis acht Jahren für das Thema Lebensmittelwertschätzung und Abfallvermeidung. Den Erzieherinnen und Erziehern stellen wir dafür eine Projektkiste mit Bildungsmaterialien und Workshop-Inspirationen sowie einem begleitenden Handbuch zur Verfügung. Damit können sie ihre Vorschulgruppe eigenständig über mehrere Wochen an einen selbstbestimmten und wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln heranführen.

Besonders stolz sind wir auf unser Kinderbuch "Benja & Wuse". Oft möchten die Kinder, nachdem sie das Buch gelesen haben, direkt selbst aktiv werden und Lebensmittel retten. Diesem Wunsch können die Erzieherinnen und Erzieher nachkommen und beispielsweise gemeinsam bei der Bäckerei um die Ecke Brötchen vom Vortag retten und zu Semmelbrösel, Brotchips oder "Arme Ritter" verarbeiten.

Bildungsangebote von Restlos Glücklich e.V.:

  • Bis auf den letzten Krümel
    Mit seinem Kitaprojekt vermittelt Restlos Glücklich Berliner Vorschulgruppen, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Erziehungsberechtigten, wie man sich klimaverträglich und gesund ernährt, was Lebensmittelwertschätzung bedeutet und warum es sich lohnt, Abfall zu vermeiden.  
  • DICH RETT'ICH
    Im Bildungsprojekt "DICH RETT’ICH" werden 2000 Grundschulkinder ab der dritten Klasse zu Lebensmittelretterinnen und -retter ausgebildet. Dafür realisiert der Verein insgesamt 75 kostenlose Workshops an Schulen in Baden-Württemberg und Berlin. Möglich gemacht wird diese Bildungsinitiative durch die finanzielle Unterstützung des Lebensmitteleinzelhändlers Lidl.
  • Die Berliner Ernährungscoaches
    Um ein nachhaltiges und gesundheitsförderliches Ernährungsumfeld in Berliner Kiezen zu gestalten, braucht es Vernetzung, Angebote und Verstetigung vor Ort. Genau hier unterstützen die neuen Berliner Ernährungscoaches sowie die Ernährungslotsinnen und -lotsen. Ziel dieses Pilotprojekts ist es, die Ansätze der Berliner Ernährungsstrategie in verschiedenen Berliner Kiezen zu verankern.
  • PRIMA KLIMA
    Grünflächen statt Abfall, reparieren statt wegwerfen, gemeinsam gesund kochen statt allein essen. Bei "PRIMA KLIMA" entwickelt Restlos Glücklich e.V. mit den Berliner Kiezbewohnerinnen und -bewohnern ein gesundes und klimafreundliches Zusammenleben. Gemeinsam wollen sie sich dafür einsetzen, dass die Berliner Kieze sauberer, schöner und lebenswerter werden.
  • Unsere Küche
    Nachhaltigkeit in aller Munde – das wünscht sich Restlos Glücklich e.V. und hat deswegen "Unsere Küche" ins Leben gerufen. Veranstaltet werden Workshops im Kiez zu klimafreundlicher und gesunder Ernährung. Die Gäste werden eingeladen, um gemeinsam zu kochen, zu essen und sich auszutauschen. Was heißt es, gesund zu kochen? Wie kann man sich das leisten? Und was hat unsere Esskultur mit dem Klima zu tun?

Mehr Informationen zu den Projekten auf der Webseite des Restlos Glücklich e.V.

Oekolandbau.de: Im Spiel zur Lebensmittelherstellung lernen die Kinder auch die Stationen einer Wertschöpfungskette kennen. Wo fängt man hier an und wo hört man auf zu erklären?

Edith Timm: Da gibt es unterschiedliche Ansätze: Bei unserem Kartenspiel "Wo kommt unser Essen her?" fangen wir möglichst weit vorne an. Bei der "Kuhmilch" beginnen wir nicht etwa mit dem Melken der Kuh oder ihrer Befruchtung, sondern bei der Aussaat von Getreide. Denn damit Kühe überhaupt Milch produzieren können, brauchen sie Kraftfutter.

Die Erzieherinnen und Erzieher entscheiden individuell, wo sie mit den Kindern im Spiel einsteigen und aufhören möchten. Das hängt sehr von den Kindern ab, von ihrer Neugier und ihrem Interesse. Für die einen ist es etwa spannend zu sehen, dass ihre Erdbeeren eine weitere Reise mit dem LKW bis zum Supermarkt zurücklegen. Andere fragen sich, wieviel Fläche das Getreide benötigt, das die Milchkühe fressen. Oder wie viel Wasser benötigt wird, damit wir ein Glas Mich trinken können – das ist mehr als gedacht. Denn natürlich trinken nicht nur die Kühe das Wasser, es wird bereits vorher schon für den Getreideanbau benötigt. Für viele Kinder ist das sehr überraschend.

Oekolandbau.de: Was zeigt die bisherige Erfahrung: Greifen die Kinder nach den spielerischen Workshops wirklich zur krummen Karotte?

Edith Timm: Ja, definitiv. Kinder bringen von sich aus viel Neugier mit, sind offener als viele Erwachsene und haben Lust, Neues auszuprobieren, Unbekanntes zu erforschen. Sie merken schnell, dass Lebensmittel ganz unterschiedlich aussehen können, so wie wir Menschen auch. Obst und Gemüse gibt es in verschiedenen Formen und manche Exemplare sehen ungewöhnlich aus oder haben kleine Besonderheiten. Doch das ist nur Außen – was zählt, sind die inneren Werte. Unsere Erfahrung zeigt, dass Kinder sehr gerne zu ungewöhnlich aussehenden Lebensmitteln greifen und sehr offen sind für Vielfalt.

Oekolandbau.de: Und schmeißen sie auch weniger weg?

Edith Timm: Wie viel werfe ich eigentlich weg... in einem Jahr, einem Monat, an einem Tag? Wer kann das so genau beantworten? Um die Menge der Lebensmittelabfälle sichtbar zu machen, haben wir uns ein Experiment ausgedacht. Dabei dokumentieren die Kinder den Abfall, der während ihrer Vespermahlzeit in der Kita entsteht. Sie können ganz genau beobachten, wie viel und welche Lebensmittelabfälle täglich anfallen. Im nächsten Schritt entwickeln sie gemeinsam mit ihren Erzieherinnen und Erziehern Strategien zur Abfallreduzierung. Durch die tägliche Messung sehen die Kinder, wie groß ihr Einfluss ist und dass sie bereits mit kleinen Veränderungen einen enormen Unterschied machen können. Dieses neue Wissen nehmen die Kinder mit nach Hause und teilen es in ihren Familien.


Letzte Aktualisierung 14.03.2024

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