Weidemilch klimafreundlich und wirtschaftlich erzeugen

Weidemilch klimafreundlich und wirtschaftlich erzeugen

Die Beweidung von Grünland wird in der modernen Milchviehhaltung kaum noch zur Fütterung der Tiere genutzt. Dabei schlummert hier sehr viel Potenzial in Bezug auf eine tiergerechte, nachhaltige und vor allem wirtschaftliche Milcherzeugung. Das zeigt das Konzept der intensiven Weidehaltung, das auf dem Bio-Versuchsgut der Universität Kiel entwickelt wurde.

In der Milchviehhaltung dominieren heute intensive Systeme mit überwiegender Stallhaltung und einer Fütterung auf Basis hoher Anteile an Maissilage und Kraftfutter. Das Ziel ist eine hohe Milchleistung und eine damit verbundene hohe Wirtschaftlichkeit.

Allerdings hat dieses System negative Effekte auf die Umwelt, etwa durch den hohen Stickstoffeinsatz und die damit verbundenen Lachgasemissionen. Zudem entsteht bei der Lagerung der anfallenden Gülle besonders klimaschädliches Methan und der intensive Anbau von Mais wirkt sich negativ auf die Biodiversität und den Humusgehalt im Boden aus.

Energiegehalte von frischem Gras werden unterschätzt

Deshalb rückt die Weide als nachhaltige und wirtschaftlich konkurrenzfähige Futtergrundlage seit einiger Zeit wieder stärker in den Vordergrund. Denn Weideflächen sind artenreicher, fördern die Humusbildung im Boden und benötigen bei hohen Kleeanteilen deutlich weniger Stickstoffeinsatz als Mais. Unterschätzt wird zudem der Energiegehalt von frischem Gras, der auf dem Niveau von Maissilage liegt. Hinzu kommen hohe Gehalte an wertvollem Rohprotein.

Diese positiven Eigenschaften bestätigt auch das Projekt Öko-effiziente Weidemilcherzeugung der Universität Kiel. Darin wurde für Schleswig-Holstein ein Bio-Weidekonzept entwickelt, das hohe Milchleistungen ermöglicht und in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit mit konventionellen, reinen Stallhaltungssystemen mithalten kann. Darüber hinaus bietet es deutliche Vorteile bezüglich der Umweltwirkungen, insbesondere bei der Reduzierung klimaschädlicher Gase.

Kleegras- statt Grünlandweide

"Das ganze System ist auf die Maximierung der Leistungen aus Weidefutter ausgelegt", erklärt der Futterbauexperte Dr. Ralf Loges, der das Projekt seit neun Jahren auf dem Bio-Versuchsgut Lindhof bei Eckernförde koordiniert. So beweiden die 110 Milchkühe des Betriebs kein Grünland, sondern Kleegras auf Ackerflächen. Der Grund: Kleegras hat eine höhere Energiedichte als der Aufwuchs von natürlichem Grünland. Zudem ist Kleegras die zentrale Stickstoffquelle des Betriebs.

Die Beweidung beginnt bei diesem System stundenweise ab März bei insgesamt 260 Weidetagen im Jahr. Davor kalben alle Tiere im Block ab, überwiegend im Februar und März. Während der Weidephase stammen 90 Prozent der aufgenommenen Energie aus frischem Kleegras. Die Beweidung erfolgt zunächst einmal täglich als Portionsweide und in den stärksten Wachstumsphasen der Bestände von April bis Oktober mit zwei Umtrieben pro Tag.

Zehn Zentimeter Aufwuchshöhe sind optimal

"Wir wollen möglichst energiereiches Futter anbieten und die Verluste minimieren. Dafür ist eine Aufwuchshöhe von zehn Zentimetern in den Parzellen optimal. Die Gräser sind dann im Drei-Blatt-Stadium", erklärt Loges. Um die verfügbare Futtermenge einer Weideparzelle realistisch abschätzen zu können, nutzt das Versuchsgut ein GPS-basiertes Platemeter, das über die Höhe des Aufwuchses und die Position sehr verlässliche Zahlen vorgibt.

Ziel ist es laut Loges, die Kühe während der Weidephase möglichst gleichmäßig mit Energie und Protein zu versorgen, wie es auch bei reiner Stallhaltung möglich ist. Deshalb werden die Veränderungen der Energie- und Proteingehalte über die gesamte Vegetationszeit berücksichtigt, etwa durch höhere Kraftfuttergaben ab August, die den Proteinüberschuss im Gras ausgleichen.


Wirtschaftliche Ergebnisse inkl. Färsenaufzucht des Lindhofs im Vergleich zum Durchschnitt der S-H Rinderspezialberatungsbetriebe 2019/2020 (Taube et al 2024) sowie zum Vergleich mit Daten aus 2022/23

    1. Beratungsbetriebe S-H 2. Lindhof 2. relativ zu 1. Lindhof 2022/23
Milchleistung ECM kg ECM/Kuh 9.433 7.007 74 % 7.783
Lebendgewicht kg/Kuh 670* 470 70 % 490
Milch je kg Lebendgewicht kg ECM/kg LG 14,1 14,9 106 % 16,0
Fettgehalt Naturalmilch % 4,20 5,59 133 % 5,24
Eiweißgehalt Naturalmilch % 3,45 3,99 115 % 3,93
Kraftfutter/Kuh/Jahr dt/Kuh 28,10 8,00 28 % 8,99
Grundfutterleistung (BZA) kg ECM/Kuh 3.769 5.284 140 % 5.845
Kraftfutterkosten ct/kg ECM 8,77 3,83 74 %  
Mineral-N-Dünger-Aufwand kg/ha HF 99 0 0 0

Abkürzungen: S-H = Schleswig-Holstein, BZA = Betriebszweigabrechnung, ECM = Energie korrigierte Milch. * Schätzwert im Durchschnitt der Rassen. Quelle: Universität Kiel


Energiegehalte höher als bei Silomais

Allgemein erreicht der frische Kleegrasaufwuchs auf dem Lindhof von März bis Ende Mai Energiedichten von bis zu 7,8 Megajoule Nettoenergielaktation je Kilogramm Trockensubstanz (MJ NEL je kg TS). Im Jahresdurchschnitt liegt der Wert bei 6,8 MJ NEL je kg TS. Die Gehalte an nutzbarem Rohprotein (nXP) in der Trockenmasse schwanken im Jahresverlauf von 160 bis 200 g/kg TS bei einem Durchschnitt von über 180 g/kg TS Prozent. Alle Flächen werden als Mähweide genutzt. Kleegras- und Grassilagen bilden die Futtergrundlage in den Wintermonaten.

Mit diesem Ansatz erreicht der Betrieb sehr hohe Leistungen bei geringem Einsatz von Kraftfutter und Dünger. Aktuell liegt der Herdenschnitt bei knapp 7.800 kg Energie korrigierte Milch (ECM). Davon stammen über 5.800 kg aus dem Grundfutter.

Geringer Kraftfuttereinsatz, hohe Grundfutterleistung

Zwar liegt die Leistung des Versuchsguts im Vergleich zur Durchschnittsleistung von 356 spezialisierten konventionellen Milchviehbetrieben aus Schleswig-Holstein etwa 1.700 kg niedriger. Dafür müssen diese Betriebe einen wesentlich höheren Aufwand betreiben. So liegt zum Beispiel ihr Kraftfuttereinsatz etwa 2,5 Mal höher als beim weidebasierten System des Lindhofs. Aus dem Grundfutter erzielen diese Betriebe im Schnitt nur 3.770 kg ECM (siehe Tabelle 1), über 2.000 kg weniger als der Lindhof.

"Der Vorteil unseres weidebasierten Systems ist, dass wir extrem junges, zuckerreiches und zugleich höchstverdauliches Futter sehr günstig bereitstellen können", erklärt Dr. Ralf Loges. "Zudem ist der Arbeitsaufwand für das Weidemanagement nach unseren Berechnungen deutlich geringer als in offiziellen Beratungstabellen angegeben." So liegen die Vollkosten für die Futtererzeugung im Vergleich zu Silomais bei der Energie um knapp ein Drittel niedriger, bei Protein sogar um etwa zwei Drittel.


Vollkostenauswertung Grundfutter 2019/20, Vergleich Lindhof mit Durchschnitt von 356 ausgewerteten Rinderspezialberatungsbetrieben in S-H

  Mähweide Lindhof BZA** 2019/20 Grassilage BZA** 2019/20 Maissilage
Summe Kosten (EUR/ha) 943,75 1865,98* 2039,44*
Gesamtkosten (ct/10 MJ NEL) 16,47 32,40* 24,07*
Gesamtkosten (ct/kg XP) 0,74 1,28 2,25

*Quelle: Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein; **BZA = Betriebszweigabrechnung


Hohe Futterverluste bei Gras- und Maissilagen

Die Einsparungen beruhen vor allem auf geringeren Maschinen- und Energiekosten bei der Futterwerbung. Der Anbau von Kleegras als Weide erfordert keine Stickstoffdüngung. Ein wichtiger Faktor sind zudem hohe Futterverluste bei Erzeugung von Gras- und Maissilage, die im Gegensatz zu den Verlusten bei der Weide häufig übersehen werden. Vom Feld bis zum Trog können sie beim Einsilieren bis zu 30 Prozent betragen.

Weitere Einsparungen ergeben sich auch beim Management des Wirtschaftsdüngers. Denn die Kühe bringen bei intensiver Weidehaltung über 40 Prozent ihrer Ausscheidungen selbst aus. Auch die Kosten für den Tierarzt und für Klauenpflege liegen niedriger als bei ganzjähriger Stallhaltung. Die Tiere sind insgesamt fitter und brauchen selten Geburtshilfe.

Weidefütterung ist wirtschaftlich konkurrenzfähig

"Diese Einsparungen machen das weidebasierte System wirtschaftlich absolut konkurrenzfähig, auch gegenüber Intensiv-Betrieben mit ganzjähriger Stallhaltung", sagt Loges. "Dabei sind die umweltrelevanten Vorzüge noch gar nicht berücksichtigt." Denn anders als bei Intensiv-Milchviehbetrieben kommt der Lindhof auf eine sehr günstige Stickstoffbilanz mit einem Überschuss von nur 18 kg N/ha. Zusätzlich wird durch den Anbau von Kleegras Humus aufgebaut und Stickstoff im Boden gebunden, der nach dem Umbruch für den Getreideanbau zur Verfügung steht.

Hinzu kommen große Vorteile bei den anfallenden Klimagasen, vor allem Methan, Lachgas und CO2. Pro Kilogramm ECM entstehen auf dem Betrieb 0,63 kg CO2-Äquivalente. Bei konventionellen Betrieben mit reiner Stallhaltung liegt dieser Wert im Schnitt deutlich über eins. Die große Differenz beruht vor allem auf einem geringeren Energieverbrauch, weniger Lachgasverlusten und der CO2-Bindung durch Humusaufbau.

Betriebliche Voraussetzungen müssen stimmen

Dennoch betont der Experte, dass sich das System der intensiven Weidehaltung nicht auf jeden Betrieb übertragen lässt. Eine wichtige Voraussetzung sind zum Beispiel ausreichend große, betriebsnahe Ackerflächen für den Kleegrasanbau oder Dauergrünland und kurze Wege beim Umtrieb der Kühe. Auf reinem Grünland ist das System auch gut möglich. Es erfordert aber mehr Pflege als bei Kleegrasflächen und der Aufwuchs ist in der Regel weniger energie- und proteinreich. Deshalb liegt die Milchleistung bei intensiver Grünlandbeweidung um bis zu 25 Prozent niedriger als bei Kleegras.

Ein wichtiger Punkt ist für Loges auch die Wahl einer geeigneten Rinderrasse. "Für eine intensive Weidehaltung braucht man eine robustere Rasse, die auf längeren Regen und andere äußere Einflüsse nicht mit anhaltenden Leistungseinbrüchen reagiert. Holstein-Friesian-Kühen sind deshalb im Vollweidesystem ungeeignet", sagt Loges. Der Lindhof arbeitet mit einer Jersey-Herde, in die irische Schwarzbunte (EBI) und Angler Milchrinder eingekreuzt wurde.

Intensive Beweidung ist anspruchsvoll

Er betont außerdem, dass das System aus Umtriebs- und Portionsweide komplex ist. "Das muss man wirklich wollen und gut umsetzen, wenn es funktionieren soll", meint Loges. Erschwert wird der Einstieg für Praxisbetriebe nach seiner Erfahrung auch durch fehlendes Know-how in der Weidehaltung, das durch den anhaltenden Trend zu Stallhaltung in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen ist.

"So sind wir mit unserem System aktuell sehr weit weg von der gängigen Praxis", sagt der Forscher. "Das ist sehr schade. Denn Weide ist nach wie vor die günstigste Form der Milcherzeugung und, wenn man es richtig macht, auch die nachhaltigste, etwa durch die hohe Biodiversität und die Humusbildung."


Letzte Aktualisierung 26.06.2024

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