Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft – von wahren Kosten und gesellschaftlichen Leistungen

Wahre Kosten und gesellschaftliche Leistungen des Öko-Landbaus

Die aktuellen Lebensmittelpreise und die etablierte Betriebswirtschaftslehre bilden die Realität landwirtschaftlicher Unternehmen nicht korrekt ab: Wirtschaftet ein Betrieb besonders nachhaltig, werden diese Gemeinwohlleistungen zu wenig oder gar nicht vergütet. Gleichzeitig werden verursachte Schäden nicht ausreichend berücksichtigt. True Cost Accounting und Sustainable Performance Accounting liefern Grundlagen für ein Umdenken.

Betriebe, die heute schon nachhaltig wirtschaften und dieses Engagement weiter ausbauen wollen, werden in unserem Wirtschaftssystem für diese Leistungen nicht ausreichend finanziell entlohnt. In der Wissenschaft und im öffentlichen Diskurs gibt es vor allem zwei Ansätze, die sich mit dieser Problematik befassen und nach Lösungen suchen: True Cost Accounting (TCA) und Sustainable Performance Accounting (SPA).

Der erste Ansatz fragt nach den externen Kosten für Umwelt und Gesellschaft, die bei der Produktion unserer Lebensmittel entstehen. Ein Vergleich dieser "wahren Kosten" von konventioneller und biologischer Produktion zeigt dabei klar die Vorteile des Öko-Landbaus: die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft sind deutlich geringer. Das gilt für tierische wie auch für pflanzliche Lebensmittel.

Die mit dieser Methode errechneten Preisaufschläge können dazu beitragen, auf die Problematik aufmerksam zu machen. Anfang August gelang dies einer Kampagne des Discounters Penny in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg, als neun ausgewählte Produkte eine Woche lang mit den wahren Preisen ausgezeichnet wurden. Allerdings dürfte es in der Praxis schwierig sein, Preise auf dem Markt zu etablieren, in denen die wahren Kosten internationalisiert sind.

Nachhaltigkeitsleistungen sichtbar machen

Einen anderen Ansatz verfolgt die Leistungsrechnung, die auf dem Sustainable Performance Accounting basiert: Hier wird aus betriebswirtschaftlicher Sicht danach gefragt, welche gesellschaftlich relevanten Leistungen die Landwirtschaft erbringt, die im bisherigen System zwar bei den Aufwänden erfasst aber nicht explizit vergütet werden. Mit der 2020 geschaffenen und stetig weiterentwickelten Regionalwert Leistungsrechnung können Landwirtinnen und Landwirte die sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Gemeinwohlleistungen ihrer Betriebe differenziert erfassen und konkret in Zahlen ausdrücken.

Ziel ist es, mit diesen Kennzahlen eine fundierte Grundlage für eine gerechtere Entlohnung zu schaffen. Gleichzeitig dienen diese Informationen auch dazu, nachhaltige Praktiken in der Landwirtschaft zu etablieren. Werte wie Bodenfruchtbarkeit oder das Fachwissen der Menschen werden dabei nicht als rein ideelle Werte gesehen, sondern als Kapital, das auf- und abgebaut werden kann. Betriebe, die nachhaltig arbeiten, schaffen und erhalten solche Werte.

Nach Angaben der Regionalwert Leistungen GmbH haben bisher rund 500 Betriebe diese Leistungsrechnung vorgenommen (Stand August 2023). So haben beispielsweise Bio-Lieferunternehmen der Bohlsener Mühle in einem Kooperationsprojekt errechnet, was sie an Leistungen für Ökologie, Soziales und Regionalökonomie erbringen.

Wie funktioniert die Regionalwert Leistungsrechnung?

Die Regionalwert Leistungsrechnung erfolgt in vier Schritten:

  1. Erfassung von rund 300 Kennzahlen aus den drei Bereichen:
    Ökologie: Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Klima & Wasser, Tierwohl
    Soziales: Fachwissen, Verankerung der Betriebe in der Gesellschaft, Beschäftigungsverhältnisse und Arbeit
    Regionalökonomie: wirtschaftliche Souveränität, regionale Wirtschaftskreisläufe, regionale Vernetzung.
  2. Interpretation und Bewertung nach einem Ampelprinzip in fünf Stufen von rot ("nicht nachhaltig") bis dunkelgrün ("stark nachhaltig")
  3. Monetarisierung der betrieblichen Leistungen in den verschiedenen Bereichen
  4. Erstellung einer Leistungsbilanz, die den pro Jahr geschaffenen Mehrwert in Euro aufzeigt.

Gemeinwohlleistungen honorieren: Bio-Lieferunternehmen der Bohlsener Mühle

Pro Hektar Fläche erwirtschaften die Getreidelieferanten der Bohlsener Mühle pro Jahr im Durchschnitt 634 Euro an Nachhaltigkeitsleistungen, die nicht vergütet werden. Das zeigen die Daten von neun ganz unterschiedlichen Betrieben aus dem norddeutschen Raum, die am Projekt teilgenommen haben: von einem kleinen Betrieb auf der Insel Pellworm bis hin zu einem Großbetrieb mit über 1.000 Hektar Fläche in Mecklenburg-Vorpommern.

Insgesamt erbringen diese neun Betriebe eine Nachhaltigkeitsleistung von mehr als 1,8 Millionen Euro pro Jahr. Sie erreichen über alle Kennzahlen gemittelt einen Nachhaltigkeitsgrad von 73 Prozent (vierte von fünf Stufen). "Bisher hatten viele Bio-Betriebe nur ein Gefühl dafür, welche Nachhaltigkeitsleistungen sie erbringen. Jetzt sehen sie das in ganz konkreten Zahlen", weiß Philip Luthardt, Nachhaltigkeitsmanager der Bohlsener Mühle.

Dabei ist für die Betriebe der Aufwand für die Datenerhebung überschaubar. "Das sind alles Kennzahlen, die die Betriebe schon haben." Insgesamt brauchen die Landwirtinnen und Landwirte nur zwischen drei und acht Stunden, um die notwendigen Daten zusammenzustellen.

Die Nachhaltigkeitsleistungen wurden ermittelt: Was bringen die Daten nun?

Zunächst hilft die Nachhaltigkeitsrechnung den Betrieben dabei, ihre eigenen Stärken besser zu sehen und gegebenenfalls Verbesserungspotenziale zu erkennen und zu erschließen. So freut sich Laura Kulow vom 500 Hektar großen Bio-Hof Ritzleben über ihr Ergebnis: 81 Prozent Nachhaltigkeitsgrad ("dunkelgrün") wurden für den Bio-Hof in Sachsen-Anhalt errechnet. In Geldwert ausgedrückt bedeutet es, dass der Betrieb pro Jahr 267.818 Euro an Nachhaltigkeitsleistungen erbringt, die nicht oder zumindest nicht ausreichend vergütet werden.

"Aber es wäre schön, wenn diese Leistungen nicht nur mehr bekannt gemacht werden, sondern sich am Ende auch in Euro auszahlen", meint die Landwirtin, die 2023 beim Bundeswettbewerb Ökologischer Landbau ausgezeichnet wurde. Und Philip Luthard bringt es auf den Punkt: "Wir als Mühle können für hochwertiges Getreide unseren Lieferanten einen guten und fairen Preis zahlen und auch am Markt umsetzen. Aber für weitere gesellschaftliche Leistungen, die landwirtschaftliche Betriebe erbringen, muss am Ende die Gesellschaft bezahlen."


Film ab: Regionalwert-Leistungsrechnung: macht Nachhaltigkeit sichtbar


Dr. Jenny Lay-Kumar, die Geschäftsführerin der Regionalwert Research gGmbH, nennt dazu sehr interessante, bisher nicht veröffentlichte Daten zur Orientierung: So erbringen nach beispielhaften, nicht repräsentativen Auswertungen gut wirtschaftende Betriebe eine Nachhaltigkeitsleistung von rund 7 bis 15 Prozent ihres Umsatzes. Vorbildliche Betriebe erreichen sogar Mehrwerte in Höhe von 15 bis 25 Prozent des Umsatzes. "Hier brauchen wir dringend andere Systeme der Honorierung, die die nachhaltige Wirtschaftspraktiken in der Landwirtschaft besser steuern", so die Umweltsoziologin. Auf dem Weg dahin können True Cost Accounting und Sustainable Performance Accounting wertvolle Informationen liefern. "Die beiden Ansätze schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich komplementär."


Lesetipp:

Broschüre: Was leisten Landwirtinnen und Landwirte

Von der deutschen Landwirtschaft wird im Rahmen öffentlicher Debatten immer wieder gefordert, zusätzliche Leistungen zum Wohl der Gesellschaft zu erbringen. Diese Broschüre zeigt auf der Grundlage einer Befragung der Universität Halle, dass Landwirtinnen und Landwirte heute bereits viel tun. Die Ergebnisse der Forschenden weisen jedoch auch auf Schwachstellen und Handlungsbedarf hin.


Letzte Aktualisierung 24.08.2023

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