Oekolandbau.de: Im Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben, den Sie als einer von zwölf Forschenden mitunterschrieben haben, fordern Sie, die Ausweitung des Ökolandbaus schneller voranzutreiben. Welche Vorteile bietet der Ökolandbau für Insekten?
Prof. Tscharntke: Verschiedene Studien belegen, dass auf ökologisch bewirtschafteten Flächen etwa 30 Prozent mehr Insektenarten und 50 Prozent mehr Individuen leben als auf konventionellen Flächen. Die größten Vorteile des Ökolandbaus sind der Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger. So führt etwa der Verzicht auf Herbizide zu viel mehr Beikräutern, die wiederum mehr Insekten anziehen. Auch die meist etwas längeren Fruchtfolgen im Ökolandbau und der höhere Anteil zweijähriger Kulturen wie Kleegras bieten Vorteile, weil sich Insektenpopulationen nicht so schnell wieder neu aufbauen müssen. Dennoch ist der Ökolandbau kein Allheilmittel für den Insektenschutz.
Oekolandbau.de: Sie sehen noch Optimierungspotenzial?
Prof. Tscharntke: Ja, aus meiner Sicht sogar ein sehr großes. Denn der Anbau mit Bio-Zertifizierung ist nicht auf die besten Maßnahmen für Insekten ausgerichtet. Zum Beispiel ist die Anlage von Hecken und Tümpeln oder eine wirklich lange Fruchtfolge nicht Teil der Zertifizierung, sondern beruht auf dem oft stärker ausgeprägten ökologischen Bewusstsein der Bio-Landwirte und Landwirtinnen. Zudem gibt es auch im Bio-Bereich einen Trend zur Intensivierung mit größeren Flächen und höheren Nährstoffeinträgen. Ein weiteres Problem sind die deutlich schwächeren Erträge, die letztlich einen höheren Flächenbedarf erfordern. Denn für die Insektenvielfalt ist es theoretisch besser, wenn von zehn Hektar Weizenfläche fünf intensiv bewirtschaftet werden und der Rest als Brache ungenutzt bleibt, als die gesamten zehn Hektar ökologisch zu bewirtschaften.
Oekolandbau.de: Daraus könnte man schließen, dass Sie eine Intensivierung des Ökolandbaus empfehlen, um höhere Erträge zu erzielen. Aber genau diese Intensivierung kritisieren Sie ja auch?
Prof. Tscharntke: Ich denke da vor allem an Ertragssteigerungen über besser angepasste Sorten, die widerstandsfähig sind gegen Unkraut und Pilze, ein gutes Aneignungsvermögen für Stickstoff haben und tolerant gegenüber Trockenstress sind. Da ist natürlich noch viel Züchtungs- und Forschungsarbeit gefragt. Aber noch wichtiger ist es, wesentlich stärker auf Vielfalt und Heterogenität zu setzen. Je abwechslungsreicher die Fruchtfolge und je mehr unterschiedliche Kulturen auf der gleichen Fläche und in der Landschaft angebaut werden, desto besser für die Insekten. Denn die einzelnen Insektenarten haben sehr unterschiedliche Ansprüche. Was für die einen gut ist, schadet den anderen.
Oekolandbau.de: Also könnte zum Beispiel der verstärkte Anbau von Gemengen helfen?
Prof. Tscharntke: Gemenge sind gut. Aber ich denke da auch an den Streifenanbau, wie er zum Beispiel bei Gemüse üblich ist. Wir haben in Versuchen auf konventionellen Flächen Getreide und Raps jeweils in rund 30 Meter breiten Streifen angebaut. Damit konnten wir die Zahl der Insektenarten um 50 Prozent erhöhen im Vergleich zur Monokultur. Zur Rapsblüte gab es auch sehr viel mehr Wildbienen – besonders solitäre Sandbienen – als in der Rapsreinkultur. Besonders interessant ist, dass der Weizen auf den Streifenäckern nur halb so viele Blattläuse aufwies, dafür aber mehr Laufkäfer. Wir wissen, dass Ränder, also Übergänge von einer Kultur zur anderen, extrem wichtig sind für Insekten. Denn hier können sie auf unterschiedliche Ressourcen zurückgreifen. Zum Beispiel ernähren sich erwachsene Schwebfliegen von Rapsblüten, legen ihre Eier aber in Getreide an Blattlauskolonien ab. Je mehr Ränder landwirtschaftlich genutzte Flächen bieten, desto besser.
Oekolandbau.de: Welche Rolle spielt die Flächengröße für das Vorkommen von Insekten?
Prof. Tscharntke: Eine sehr große! Es gibt für Schläge in Bezug auf das Vorkommen von Insekten so etwas wie eine Maximalgröße, die ungefähr bei sechs Hektar liegt. Auf Flächen, die größer sind, fällt die Insektenzahl stark ab. Umgekehrt profitieren Insekten besonders stark davon, wenn die Flächen kleiner als sechs Hektar sind. Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Flächen, desto mehr Insekten. Wir haben Landschaften mit unterschiedlich großen landwirtschaftlichen Nutzflächen verglichen. Liegt die mittlere Schlaggröße bei einem statt bei sechs Hektar, stieg die Zahl der Insektenarten um das Sechsfache höher!
Oekolandbau.de: Das klingt gut. Aber für die Betriebe erscheint das wenig wirtschaftlich, oder?
Prof. Tscharntke: Das stimmt, insektenfreundliche Maßnahmen wie der Streifenanbau, das Verkleinern von Flächen oder die Anlage von Hecken machen den Anbau deutlich teurer. Das ließe sich nur über Ausgleichszahlungen oder höhere Preise für Lebensmittel abdecken. Letztlich stellt sich also die Frage: Was ist es der Gesellschaft wert, das Insektensterben aufzuhalten?