Unlautere Handelspraktiken

EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken

Lange Zeit war die Bio-Branche durch eine Vielfalt an kleineren Marktpartnern geprägt. Diese zählen häufig auf langfristige Partnerschaften mit verpflichtenden Verträgen und festgelegten Abnahmepreisen. Mit der Vergrößerung des Bio-Marktes ist jedoch ein Konzentrationsprozess insbesondere auf der Einzelhandelsebene, aber auch bei Verarbeitungsunternehmen eingetreten.

In der Lebensmittelkette bestehen heute häufig Ungleichgewichte in der Machtverteilung zwischen abgebender und aufnehmender Hand. Dies kann zu Geschäftsvorgängen führen, die von der "guten Handelspraxis" abweichen und gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen. Diese unlauteren Handelspraktiken schließen zum Beispiel verspätete Zahlungen, einseitige oder rückwirkende Änderungen von Vertragsbedingungen, das plötzliche und unbegründete Auflösen von Verträgen oder das Abwälzen von Transport- und Lagerhaltungskosten auf die Lieferanten ein. Besonders kleine und mittelständische Verarbeitungsunternehmen sind schnell in ihrer Existenz bedroht, wenn beispielsweise ihr Hauptabnehmer ihre Produkte plötzlich nicht mehr listet.

EU ergreift Maßnahmen

Das Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen der Lebensmittelbranche ist auch den EU-Institutionen bekannt und wird bereits seit dem Jahr 2009 diskutiert. Es existierten bisher zwar Rechtsvorschriften für unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbrauchern, nicht jedoch zwischen Betrieben entlang der Wertschöpfungskette. Daher forderten das Europäische Parlament und der Europäische Rat die Kommission dazu auf, einen Vorschlag für einen Rechtsrahmen vorzulegen. Dieser Aufforderung kam die Kommission mit einem Entwurf für eine "Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette" nach, welche am 25. April 2019 als Richtlinie (EU) 2019/633 im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde.

Geltungsbereich

Diese Richtlinie gilt für Unternehmen der Land- und Lebensmittelwirtschaft, die einen Jahresumsatz von bis zu 350 Millionen Euro haben. Dabei muss das liefernde und / oder das kaufende Unternehmen seinen Sitz in der EU haben. Das bedeutet, dass zum Beispiel auch Lieferanten von Rohstoffen oder verarbeiteten Produkten außerhalb der EU von der Richtlinie betroffen sind, wenn sie an ein Unternehmen in der EU verkaufen.

Zehn schwarze und sechs graue Handelspraktiken

Insgesamt werden 16 Handelspraktiken von der Richtlinie geregelt. Dabei wird unterschieden zwischen zehn komplett verbotenen Praktiken (schwarz) und sechs erlaubten, sofern von beiden Handelspartnern zugestimmt (grau).

Die zehn verbotenen Handelspraktiken

  1. Bezahlung später als 30 Tage für verderbliche Ware
  2. Bezahlung später als 60 Tage für alle anderen Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse
  3. Kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Ware (unter 30 Tagen)
  4. Einseitige Änderung der Vertragsbedingungen durch die Käuferin oder den Käufer
  5. Käuferin oder der Käufer verlangt Zahlungen, die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf der spezifischen Ware stehen.
  6. Käuferin oder der Käufer verlangt vom liefernden Unternehmen die Zahlung von Qualitätsminderung oder Verlust, welche in den Räumlichkeiten der Käuferin oder des Käufers auftreten.
  7. Verweigerung der schriftlichen Bestätigung der Liefervereinbarung zwischen abgebender und abnehmender Hand, trotz Verlangen ebendieser durch die Lieferantin oder den Lieferanten.
  8. Missbräuchliche Nutzung von Geschäftsgeheimnissen durch die Käuferin oder den Käufer
  9. Androhung oder Ergreifung von Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art, wenn eine Lieferantin oder ein Lieferant seine vertraglichen oder gesetzlichen Rechte geltend macht.
  10. Verlangen einer Entschädigung für Kosten bei Bearbeitung von Beschwerden, ohne dass ein Verschulden der Lieferantin oder des Lieferanten vorliegt.

Die sechs verbotenen - es sei denn eindeutig beidseitig vereinbarten - Handelspraktiken

  1. Rückgabe unverkaufter Ware
  2. Lieferant zahlt für Lagerung, Listung und Verkauf seiner Produkte.
  3. Lieferant zahlt für Preisnachlässe und Verkaufsaktionen.
  4. Lieferant zahlt für Werbung.
  5. Lieferant zahlt für die Vermarktung seiner Produkte.
  6. Lieferant zahlt für Personal, welches die Verkaufsräume ausstattet.

Was bedeutet das für Verarbeitungsunternehmen?

  • Beispiel 1: Ein Handelsunternehmen bezieht regelmäßig Ware von einem Bio-Verarbeiter. Die Bezahlung der Ware erfolgt wiederholt nicht fristgerecht. Der Verarbeiter verlangt vom Händler für zukünftige Zahlungen die Einhaltung der Fristen. Daraufhin droht der Händler mit einer Auslistung der Produkte. Gegen dieses Vorgehen kann das Verarbeitungsunternehmen Beschwerde einlegen.
  • Beispiel 2: Ein Handelsunternehmen verlangt kurzfristig komplette Rückstandsfreiheit, wenn vorher immer die Grenzwerte nach BNN-Richtlinien anerkannt waren. Solche Vertragsänderungen dürfen zukünftig nur noch in gegenseitigem Einvernehmen vorgenommen werden.
  • Beispiel 3:  Die Handelsunternehmen fordern günstigere Einkaufspreise, wenn sie Rabatt- oder Verkaufsaktionen im Laden anbieten. Das ist in Zukunft nur zulässig, wenn beide Unternehmen zustimmen. Bisher hatten Verarbeitungsunternehmen nur wenig Optionen diesen Praktiken etwas entgegen zu setzen, ohne die Geschäftsbeziehung zu schädigen und wirtschaftliche Folgen in Kauf nehmen zu müssen.

Option zur Beschwerde

Jeder EU-Mitgliedsstaat muss zukünftig eine Behörde einrichten oder benennen, welche die Durchsetzung der Richtlinie überwacht. Unternehmen, die von einer der oben genannten unlauteren Handelspraktiken betroffen sind, können bei dieser Behörde Beschwerde einreichen. Bei Handelsbeziehungen innerhalb der EU kann die Beschwerde an die Behörde im Land des Lieferanten oder im Land der des Käufers gerichtet werden. An welche Behörde sich ein Unternehmen wendet, kann es selbst entscheiden. Ideal ist immer die Behörde, welche für das unlauter handelnde Unternehmen zuständig ist. Um Sprachbarrieren zu umgehen, ist aber auch eine Beschwerde an die nationale Behörde möglich.

Als Beispiel: Wenn ein deutsches Unternehmen von einem französischen Unternehmen unfair behandelt wird, kann es die Beschwerde bei der französischen Behörde direkt einreichen oder, falls die Französischkenntnisse nicht so gut sind, auch bei der deutschen Behörde. Diese leitet die Beschwerde dann weiter.  Weiterhin sieht die Richtlinie die Möglichkeit vor, dass auch Erzeuger- oder andere Lieferantenorganisationen, sowie  nationale oder europäische Dachverbände, Beschwerde einreichen dürfen.

Deutschland geht über EU-Mindestvorgabe hinaus

Die Richtlinie über unlautere Handelspraktiken ist seit Mai 2019 in Kraft. In Deutschland ist die sogenannte "UTP-Richtlinie" durch das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz (AgrarOLkG) umgesetzt worden, das am 9. Juni 2021 in Kraft getreten ist. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geht die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland bei einigen Punkten über den EU-weiten Mindeststandard hinaus. So verbietet das AgrarOLkG drei weitere Praktiken, die laut UTP-Richtlinie als Teil der grauen Liste bei vorangehender klarer und eindeutiger Vereinbarung zulässig wären:

1. Rückgabe unverkaufter Ware ohne Zahlung des Kaufpreises
2. Abwälzung von Listungskosten für markteingeführte Produkte
3. Abwälzung von Lagerkosten auf den Lieferanten

Während in der EU-weiten Richtlinie Lieferanten mit einem Jahresumsatz von 350 Millionen Euro geschützt sind, werden in Deutschland für bestimmte Sektoren befristet bis zum 1. Mai 2025 Lieferanten bis zu einem Jahresumsatz von höchstens vier Milliarden Euro in den Schutz einbezogen. So werden auch größere, beispielsweise erzeugergetragene Unternehmen aus dem Milch- und Fleischbereich sowie aus dem Obst-, Gemüse- und Gartenbaubereich geschützt.


Letzte Aktualisierung 30.03.2022

BÖLW – Branchenreport 2021

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