Mutter- und ammengebundene Aufzucht männlicher Kälber

Mutter- und ammengebundene Aufzucht männlicher Kälber

Männliche Kälber aus ökologischer Milchviehhaltung werden in der Regel nach wenigen Wochen an konventionelle Mastbetriebe abgegeben. Das ist jedoch nicht im Sinne des ökologischen Landbaus. Eine Lösung kann die mutter- oder ammengebundene Haltung der männlichen Jungtiere sein, die sich bei professioneller Umsetzung auch wirtschaftlich gestalten lässt.

Für Bio-Milchviehbetriebe sind männliche Kälber eine besondere Herausforderung. Weil die Tiere nicht für die Bestandsergänzung genutzt werden können, bleibt nur die Mast. Doch die gilt wegen der hohen Futterkosten im Öko-Landbau als teuer und unrentabel. Hinzu kommt, dass Bio-Kälber laut EU-Öko-Verordnung in den ersten zwölf Wochen der Aufzucht Vollmilch erhalten müssen. Bei hohen Milchpreisen tun sich aber viele Bio-Betriebe schwer, einen Teil ihrer Bio-Milch für die Kälbermast einzusetzen.

Deshalb ist es auf den meisten Betrieben üblich, männliche Bio-Kälber an konventionelle Mastbetriebe abzugeben. Aus Sicht des Öko-Landbaus ist diese Praxis kritisch zu sehen. Denn in den meist intensiv geführten Mastbetrieben werden die Tiere nicht mehr unter Bio-Bedingungen gehalten, sondern in der Regel auf Spaltenböden mit geringerem Platzangebot und ohne Weidegang. Ein weiteres Problem ist der Zeitpunkt des Wechsels zum Mastbetrieb, der üblicherweise in der vierten bis siebten Lebenswoche vorgenommen wird. In diesem Alter ist das Immunsystem der Kälber jedoch nicht ausreichend entwickelt (Immunitätslücke), weshalb die Tiere bei Aufstallung mit Kälbern aus anderen Gruppen besonders anfällig für Erkrankungen sind.

Kälber fallen aus der Bio-Wertschöpfungskette

Für die Mast männlicher Bio-Kälber spricht zudem, dass die Tiere der Bio-Wertschöpfungskette erhalten bleiben und das Fleisch als Öko-Ware vermarktet werden kann. Ein wirtschaftlich vertretbarer Weg, die männlichen Kälber im Bio-Segment zu halten, kann eine mutter- oder ammengebundene Aufzucht und Mast der Tiere sein. Das zeigen Studien der Universität Hohenheim und verschiedene Praxisbeispiele.

Denn grundsätzlich geht bei diesem Verfahren zwar ein Teil der vermarktbaren Milchmenge verloren. Demgegenüber stehen aber sehr hohe tägliche Zunahmen, ein geringer Arbeitsaufwand und eine überdurchschnittlich gute Tiergesundheit. Für die Mast männlicher Kälber gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ein Milchviehbetrieb mästet die eigenen Tiere selbst mit Ammen- oder Mutterkühen. Oder die Kälber wechseln zu einem spezialisierten ökologischen Mastbetrieb, auf dem die Tiere von Ammen gesäugt werden.

Unterschiedliche Mastdauer möglich

Je nach Betriebsgröße, Marktlage in der Region sowie der Stall- und Flächenausstattung ist eine vier- bis neunmonatige Mast zur Erzeugung von Kalbfleisch möglich. Das Verkaufsgewicht liegt dabei zwischen 125 und 300 Kilogramm. Alternativ kann die Mast auch bis zu einem Schlachtalter von maximal zwei Jahren und einem Gewicht von 600 Kilogramm fortgesetzt werden. Eine eigene Aufzucht erfordert jedoch relativ viel Stall- und Nutzfläche.

Wechseln die Kälber dagegen in einen Mastbetrieb, sollte dies möglichst früh zwischen der ersten und zweiten Lebenswoche geschehen, da die passive Immunisierung in diesem Alter noch durch das Kolostrum gegeben ist. Alternativ können die Kälber auch nach der Immunitätslücke ab der siebten Lebenswoche abgegeben werden. In jedem Fall sollten Geburts- und Mastbetrieb möglichst eng zusammenarbeiten und den Zeitpunkt des Wechsels gut abstimmen.

Die richtige Ammenkuh wählen

Als Amme kommen vor allem Kühe in Frage, die schwer melkbar sind, häufiger Euterprobleme haben oder deren Leistung unter dem Herdenschnitt liegt. Auch ruhige und freundliche Tiere bieten sich dafür an. Jede Amme versorgt meist zwei oder drei Kälber. Häufig werden die Ammenkühe getrennt von der übrigen Milchviehherde in Gruppen gehalten und nicht zusätzlich gemolken. Gefüttert werden sie wie Milchkühe entsprechend ihrer Laktationsphase.

Wie Kälber und Ammen am besten gehalten werden, hängt stark von den betrieblichen Voraussetzungen ab, insbesondere von der Stallgröße und Flächenausstattung. Die Kälber können zum Beispiel den Ammentieren nur zum Tränken zugesetzt werden oder über den gesamten Mastzeitraum bei der Kuh bleiben. Auch zusätzliche Kraftfuttergaben oder eine ergänzende Eimer- beziehungsweise Automatenfütterung sind verbreitet.


FiBL-Merkblatt: Mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung

Das Merkblatt beschreibt die natürliche Beziehung zwischen der Kuh und ihrem Kalb und zieht Schlussfolgerungen für die artgerechte Aufzucht der Kälber. Aus der Vielfalt der möglichen Systeme der mutter- und ammengebundenen Aufzucht der Kälber werden elf ausgewählte Verfahren anhand von Praxisbeispielen vorgestellt.

  • Autorinnen und Autren: Anet Spengler Neff (FiBL Schweiz), Claudia Schneider (FiBL Schweiz), Silvia Ivemeyer (Uni Kassel) unter Mitarbeit der Rindviehzuchtgruppe des Vereins für biologisch-dynamische Landwirtschaft der Schweiz mit Martin Bigler, Barbara Bindel, Robert Haeni, Beatrice Hurni, Mechthild Knösel, Thomas Löffler, Herman Lutke Schipholt, Alexandra Maier, Peter Mika, Christian Müller, Dorothee Müller, Hans Oswald, Martin Ott, Michael Rist, Rochus Schmid, Urs Sperling, Ricco Streiff, Andi Wälle sowie Ariane Maeschli (FiBL Schweiz) und Martin Lipka (VIER PFOTEN)
  • Herausgeber: FiBL
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Bestellung und Download: FiBL-Shop

Studie zur Wirtschaftlichkeit

In einer Studie der Universität Hohenheim zur Wirtschaftlichkeit der Ammenkuhhaltung schnitten Praxisbetriebe mit extensiver, verlängerter Aufzucht mit Ammenkühen und gemeinsamem Weidegang am besten ab. Im Gegensatz zu Betrieben, die zusätzlich Eimertränke und/oder Kraftfutter einsetzten, erreichten sie in der Vollkostenrechnung einschließlich Prämienzahlung einen theoretischen Stundenlohn von 15 Euro.

Die Kälber bleiben beim extensiven Verfahren bis zu neun Monate bei ihrer Amme und werden mit einem Gewicht von 300 Kilogramm verkauft. In dieser Zeit trinken die Tiere bis zu 1.700 Kilogramm Milch. Die Wirtschaftlichkeit dieses Systems beruht vor allem auf einem geringen Arbeitsaufwand, hohen täglichen Zunahmen von etwa 1.000 Gramm und einer besonders guten Tiergesundheit.

Neben der Wirtschaftlichkeit spricht auch das Tierwohl für eine mutter- oder ammengebundene Aufzucht. In einer Befragung von 16 Betrieben mit mutter- oder ammengebundener Kälberaufzucht bestätigten alle Teilnehmenden eine positive Auswirkung auf die Gesundheit der Kälber. Acht Betriebe gaben an, dass ihre Kälber vitaler und aktiver seien.

Eine Studie vom Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Trenthorst führte zu ähnlichen Ergebnissen. Darin zeigten Kälber, die bei ihrer Mutter saugen durften, kein auffälliges Verhalten wie gegenseitiges Besaugen und eine bessere Entwicklung. Entgegen der Erwartung ließen sich jedoch in Bezug auf das Sozialverhalten keine Unterschiede feststellen zwischen Kälbern aus muttergebundener und mutterloser Aufzucht.

Tierwohlaspekte für Vermarktung nutzen

Aufgrund der Vorteile für das Tierwohl rät das Forscherteam Betrieben mit Mutter- oder Ammenkuhhaltung, die Aufzuchtform aktiv zu bewerben. Insbesondere direktvermarktende Betriebe könnten damit je nach Kundenstamm und allgemeiner Marktlage einen zusätzlichen Preisaufschlag generieren.


Film ab: Muttergebundene Kälberaufzucht auf dem Hofgut Rengoldshausen erklärt von Mechthild Knösel


Aus der Forschung:

Kälberaufzucht im Biomilchviehbetrieb – kuhgebunden oder per Eimertränke

Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden bei Jungtieren und Milchkühen durch natürliche Fütterungssysteme.

Projektlaufzeit: 04/2018 - 09/2021

Zu den Forschungsergebnissen


Letzte Aktualisierung 09.01.2023

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