Initiative "Du bist hier der Chef"

Initiative "Du bist hier der Chef": die Kundschaft entscheidet!

Jeder Einkauf ist ein Stimmzettel. Davon ist Nicolas Barthelmé von der Initiative "Du bist hier der Chef!" überzeugt. Die Initiative befragt Verbraucherinnen und Verbrauchern nach ihren Wünschen und zeigt, wie die Entscheidung den Produktpreis beeinflusst. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind die Grundlage für die Herstellung eines neuen Produktes. Die "Du bist hier der Chef!"-Milch, -Eier und -Kartoffeln gibt es bereits in hessischen und nordrhein-westfälischen Supermärkten.

Oekolandbau.de: Eure Initiative heißt "Du bist hier der Chef". Haben wir Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich so viel Macht?

Nicolas Barthelmé: Wir haben eine Riesenmacht, nur wissen wir es nicht, da wir alle einzeln unterwegs sind. Unsere Initiative will eine Gemeinschaft bilden, mit dem Ziel die Landwirte fair zu finanzieren und mehr Tierwohl und Biodiversität zu erreichen. Auf der einen Seite hinterfragen wir das System, aber gleichzeitig versuchen wir im System etwas zu verändern. Wir arbeiten mit dem klassischen Einzelhandel zusammen. Nur möchten wir die Spielregeln nach unseren Werten neu definieren. Die Verbraucher stehen im Zentrum und entscheiden, welche Produkte sie haben wollen und was sie kosten können bzw. was ihnen Fairness und Qualität wert sind. Unser Team sucht dann nach Partnern in Landwirtschaft, Verarbeitung und Handel.

Oekolandbau.de: Als erstes Produkt habt ihr eine Milch kreiert. Warum habt ihr damit angefangen?

Barthelmé: Am Milchregal hat man keinen Durchblick mehr. Ich wusste beispielsweise gar nicht, dass es auch bei der Bio-Haltung noch Ausnahmen für die Weidehaltung gibt. Außerdem wissen viele Verbraucher bereits, dass die Erzeugerpreise bei Milch zu niedrig sind. Allerdings ist eine faire Vergütung kein Selbstzweck. Höhere Preise sind nur akzeptabel, wenn auch Tierwohl und Qualität stimmen.

Oekolandbau.de: Wie könnt ihr denn gemeinsam mit Verbraucherinnen und Verbrauchern Produkte entwickeln?

Barthelmé: Als erstes hat sich unser Team über die Hintergründe im Milchmarkt informiert, Fachmessen besucht und mit Molkereien und Milchviehbetrieben gesprochen. Aus den relevanten Punkten entwickeln wir einen Fragebogen und stellen ihn auf unsere Website. Bei der Milch konnte jeder ohne Registrierung mitmachen. Das funktioniert so wie beim Auto-Konfigurator. Nur, dass ich hier meine Wunschmilch kreiere. Der Einstiegspreis liegt bei 73 Cent pro Liter. Aber wenn ich bei der Haltung Weide statt Stall ankreuze, steigt der Preis. Ebenso wenn ich Bio statt konventionell wähle, etc. Am Ende haben sich 9300 Leute beteiligt. Herausgekommen ist eine Bio-Weidemilch zum Preis von 1,45 pro Liter. Nach diesen Kriterien suchen wir dann Betriebe aus und sprechen mit dem Handel.

Oekolandbau.de: Wie kommt Ihr denn als kleine Initiative an die großen Handelskonzerne heran?

Barthelmé: Bei Öko-Marketing-Tagen durfte ich die Initiative vorstellen und habe dort einige Einkäufer kennengelernt. Es ist ganz viel Öffentlichkeitsarbeit, Networking und Klinkenputzen nötig. Angefangen habe ich mit dem Nachhaltigkeitsbeauftragten von REWE.

Grundsätzlich findet jeder unsere Idee spannend. Darauf können wir aufbauen. Es gibt für den Handel keinen Grund, nicht mitzumachen. Denn die Kunden fragen die von ihnen kreierten Produkte nach. Der Lebensmitteleinzelhandel muss sie nur verfügbar und bekannt machen. Die Händler sind die Champions der Logistik und der Warenpräsentation.

Oekolandbau.de: Viel leichter ist es vermutlich, Landwirtinnen und Landwirte zu gewinnen?

Barthelmé: Ja, wir haben viele Anfragen von Landwirten. Aktuell arbeiten wir bei der Milch mit 15 Betrieben zusammen und können noch nicht die gesamte Menge vermarkten. Und auch die Molkereien müssen mitmachen. Wir brauchen immer ein Tandem aus Erzeugern und Molkerei.

Mal geht der erste Kontakt über die Molkerei, mal über die Landwirte. In der Regel interessieren sich eher kleinere Molkereien für uns. Die großen arbeiten exportorientiert und haben kein Interesse daran, dass die Milchpreise hochgehen. Andere haben Angst, nur einen Teil ihrer Landwirte fair zu bezahlen. Aber irgendwo müssen wir ja anfangen, etwas zu verändern.

Oekolandbau.de: Wie setzt ihr Regionalität um?

Barthelmé: Die Abfragen der Verbraucher laufen bundesweit. Ich glaube nicht, dass die Verbraucher in Bayern andere Produkte wollen als die in Niedersachsen. Aber dann suchen wir nach regionalen Partnern. Bei der Milch ist es die Upländer Bauernmolkerei in Nordhessen. Die liefert in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Im Norden ist es die Meierei Horst. Für den Süden und den Osten haben wir Partner gefunden, warten aber dort auf die Unterstützung durch den Handel.

Oekolandbau.de: Ihr treibt ja einen Riesenaufwand. Wäre es Euch lieber, wenn der Staat mehr Vorgaben bei Lebensmitteln machen würde als auf den Markt zu setzen?

Barthelmé: Beides wäre gut. Die Politik könnte beispielsweise Tierwohlstandards festlegen. Auch gibt es bisher keine gesetzlichen Vorgaben in Richtung faire Preise. Es besteht immer eine Schieflage zwischen kleinteiligen Erzeugern und konzentrierten Verarbeitern und Händlern. Hinter dieser Schieflage steht die freie Marktwirtschaft, da wird die Politik nicht viel ändern. Deswegen versuchen wir es einfach selbst und laden die anderen mit ein, ihre Praktiken zu überdenken. Sicher ist: Sobald Verbraucher bei Gesprächen mit dem Handel mit am Tisch sitzen, verlaufen die Gespräche sehr konstruktiv und wertschätzend. Es geht doch nur gemeinsam.

Oekolandbau.de: Was wünscht ihr Euch für die Zukunft?

Barthelmé: Wir brauchen eine neue Zusammenarbeit zwischen Konsumenten, Landwirten, Verarbeiter und Handel, um gute und fair produzierte Lebensmittel zu ermöglichen und erfolgreich zu machen.

Wie es so schön heißt: eine Kette kann man nur ziehen und nicht schieben! Also geht jede Veränderung nur mit und dank der Verbraucher. Mit unserer Community haben wir in den letzten zweiJahren Tools entwickelt und erprobt, um die aktuellen Herausforderungen gemeinsam zu lösen: mit viel Partizipation und Transparenz. Wir Verbraucher sind bereit und laden Handel und Industrie dazu ein, diesen neuen gemeinsamen Weg mitzugehen.

Oekolandbau.de: Plant ihr schon weitere Produkte?

Barthelmé: Nach Milch, Eiern und Kartoffeln sollen dieses Jahr die `Du bist hier der Chef´-Äpfel auf den Markt kommen. Geht man in den Supermarkt und schaut sich dort das Apfelregal an, ist die Auswahl an Sorten und Herkunftsländer groß. Obwohl der Apfel eine Obstsorte ist, welche gut in unseren klimatischen Breitengraden wächst, stammen längst nicht alle angebotenen Äpfel von hier. Verbraucherinnen und Verbraucher haben jetzt die Möglichkeit über Anbau, Herkunft und Qualität der Äpfel abzustimmen. Es ist noch viel zu tun, bis die guten und fair produzierten Produkte die Regel und nicht mehr die Ausnahme sind!


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Initiative 'Du bist hier der Chef'

Letzte Aktualisierung 09.01.2024

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